Auftritt
Pfalztheater Kaiserslautern: Gegrunzt, gepfiffen und gespuckt!
„Die toten Freunde (Dinosauriermonologe)“ von Ariane Koch (UA) – Regie Simone Blattner, Bühne Martin Miotk, Kostüme Andy Besuch, Musik Christopher Brandt
von Björn Hayer
Assoziationen: Theaterkritiken Rheinland-Pfalz Ariane Koch Pfalztheater Kaiserslautern

Den Klimawandel und die Umweltkrise vornehmlich als technologische Herausforderungen anzusehen, zählt zu den größten Irrtümern unserer Zeit. Denn neben findiger Ingenieurskunst bedarf es ebenso eines Bewusstseinswandels für die sogenannte posthumane Ära. Um die Bedürfnisse von Flora und Fauna neu wahrzunehmen, scheint ein Perspektivwechsel unerlässlich, grob gesagt: weg von der humanen Spezies hin zur Natur. Dass sich das Theater, das per se auf menschliche Akteure setzen muss, mit diesem Anti-Anthropozentrismus schwertut, versteht sich von selbst. Und doch gibt es wie just in der Uraufführung von Arianes Kochs „Die toten Freunde (Dinosauriermonologe)“ am Pfalztheater Kaiserslautern einige Versuchsanordnungen.
Nur gehört gerade dieses „Singspiel mit dem Nachwort einer Birke“ nicht zu den Glanzlichtern experimenteller Bühnenkunst. Ganz im Gegenteil: Einfallsloser und zäher und ermüdender und unwitziger könnte der Abend kaum ausfallen. Obwohl sich die Story (in großen Anführungsstrichen!) auf eineinhalb erstreckt, lässt sie sich binnen weniger Sätze zusammenfassen: Nachdem Millionen Jahre nach unserer Epoche die titelgebenden, weiblichen Riesenreptilien (u.a. Nina Schopka, Helena Gossmann und Hannelore Bähr) als Untote vor sich dahinvegetieren, versetzt das Auftauchen eines Menschen die Gruppe in schieres Erstaunen. Eine von ihnen, Rosemarie, ist wie besessen von ihm und leidet umso mehr unter dessen baldigem Tod. Noch ein wenig wird das unbekannte Wesen (Jelena Kunz) von den Sauriern analysiert und erforscht, bis sie selbst Wolken gelben Birkenstaubs zum Opfer fallen.
Dazwischen dreht der Text seine Kreise. Ermattet beklagen die in ausfransenden Kleidern gehüllten und mit roten Krallen versehenen, lebenden Fossile, alles nur noch in den immerselben Kopien zu erfahren, sie lamentieren über das Altern und das ewige „Heimweh nach dem Urmeer“. Ansonsten wird bisweilen noch Morgengymnastik für Arme angeboten. Dabei vermag nicht einmal jene Yoga- und Esoterikparodie mit ihren Anweisungen à la „Connect to Earth“ oder „Breathing“ die Statik aufzulockern.
Was als innovativer Theateransatz verkauft wird, kippt nicht nur an dieser Stelle in den Blödsinn ab. Auch die den Riesenechsen unverständliche Sprache des menschlichen Wesens, das sich nur pfeifend äußert (worauf die Saurier wiederum mit Grunzen reagieren), mutet – ungewollt – ziemlich dämlich an. Klar ist: Die Inszenierung will die klassischen Machtverhältnisse umkehren, sodass die Urzeit-Tiere reden und wir, die traditionellen Regenten des Planeten, uns auf einmal nicht mehr verständig machen können. Fühlen so etwa animale Kreaturen, die bislang unterdrückten?, soll man sich wohl fragen. Aber sind das wirklich die zündenden Funkenschläge des Schauspiels zur aktuellen Debatte? Erschwerend kommt zum Desaster noch der Gesang hinzu. Dass er nun von den Reptilien vorgetragen wird, dürfte wohl als weiteres Indiz für die Verlagerung von kultureller Hoheit gelten. Ganz nach der Devise: Wer ihn beherrscht, der kann die Welt unter seine Fittiche bringen. Doch statt mit ihm neue thematische und künstlerische Räume zu erschließen, schreckt er ab. Ein schiefer Ton jagt den nächsten. Auf dem Parkett wird gekrächzt, gejammert und gespuckt – viele Effekte, aber keine Energie!
Letztere scheint allein in den Vulkanattrappen zum Ausdruck zu kommen, aus denen die Darstellerinnen sich oft umständlich herausmanövrieren. Umgeben sind sie wie die gesamte Bühne von Stofffahnen mit Symbolen von Messengerdiensten wie dem Herzen oder dem Sendezeichen. Darüber befinden sich kryptische Zeichen, weswegen das Arrangement auch an eine Übersetzungssoftware denken lässt. Solcherlei Einfälle erweisen sich als zwar als dekorativ, aber keineswegs als tragend. Der Regie unter Simone Blattner gelingt damit lediglich eine Bebilderung des Textes. Dessen Saurier hätte man also besser unter der Erde gelassen. Denn die für sie veranstaltete dramatische Archäologie fördert weder neue Erkenntnisse noch ein ästhetisches Surplus zutage.
Erschienen am 19.12.2022