Theater der Zeit

Themen – Nachhaltigkeit

Maßnahmen für die Mitwelt. Nachhaltigkeit bei den Berliner Festspielen

Tino Sehgal im Gespräch

von Diana Palm

Erschienen in: CHANGES – Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit (10/2021)

Assoziationen: Berlin Berliner Festspiele

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Die Berliner Festspiele als Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) GmbH sind mit ihrer ganzjährigen Festivalstruktur und ihren beiden Häusern – dem Haus der Berliner Festspiele und dem Martin-Gropius-Bau – eine Institution, die sich seit einigen Jahren intensiv mit der ökologischen Transformation des Kultursektors auseinandersetzt. Sie stellte sich schon weit vor der zugespitzten Klimadebatte im Wahljahr 2021 die Frage, wie wir mit den endlichen Ressourcen und unserer „Mitwelt“, die alle nichtmenschlichen Entitäten einschließt, umgehen. Nachhaltigkeit darf nicht nur inhaltlich proklamiert und die Klimakrise lamentiert werden, ohne veraltete Standards und gängige Arbeitsprozesse zu hinterfragen sowie das eigene Betriebssystem Schritt für Schritt neu auszurichten. Ansonsten verharrt man in dem Glauben, man hätte mit der inhaltlichen Aufklärung und Mahnung zur Wende bereits das Notwendigste getan – ein Phänomen, das in Verbindung mit der kognitiven Dissonanz alles beim Alten, bei business as usual belässt1. Ohne eine praktische Umstellung des Betriebssystems der eigenen Institution und der entsprechenden Veränderung ihres Arbeitsalltags bleibt die Wende zu mehr Nachhaltigkeit lediglich bei einem Lippenbekenntnis, einem allenfalls kurzfristigen Image-Zugewinn stehen, der langfristig zu einem Glaubwürdigkeitsproblem führt.

Daher haben die Berliner Festspiele in den vergangenen zehn Jahren einiges getan, um nicht nur nach außen in die Öffentlichkeit und den Kultursektor, sondern auch nach innen in den eigenen Betrieb verändernd zu wirken.

Ein wichtiger und nahezu alle Bereiche der KBB erfassender Schritt war die erstmalige EMAS-Zertifizierung im Jahr 2013 – zu einer Zeit, als noch kein anderer Kulturbetrieb in Deutschland sich einer solchen Evaluierung seiner betrieblichen Praxis unterzog. EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) ist ein von der Europäischen Union entwickeltes Umweltmanagementsystem und -gütesiegel, das die systematische Erfassung der eigenen institutionellen Umweltauswirkungen verlangt und in Maßnahmen zur Reduzierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks übersetzt. EMAS betrachtet dabei den gesamten Betrieb und setzt die kontinuierliche Verbesserung der eigenen Umweltleistung voraus, die alle drei Jahre geprüft und auditiert wird2. Besondere Erwähnung verdient hier Andreas Weidmann, der ehemalige Technische Direktor der KBB, als Initiator der EMAS-Nachhaltigkeitsbemühungen in den Berliner Festspielen. Seit 2019 leitet Christoph Hügelmeyer, sein Nachfolger und Umweltmanagementbeauftragter, die auf EMAS zurückzuführenden Leistungen und Maßnahmen der KBB. Als Begleiterscheinung dieses Verfahrens wurde im Büroalltag schadstoffarmes Material eingeführt, das von recyceltem Papier über nachfüllbare Kartuschen mit umweltfreundlicher Farbe für die Kopiergeräte bis hin zu der Inanspruchnahme öko-zertifizierter Dienstleister wie zum Beispiel Druckereien, aber auch Lieferant*innen reicht. Außerdem wurde die technische Infrastruktur der KBB erneuert, Informationswege wurden gekürzt und Datenlasten reduziert. Single use wurde zu re-use-Verbrauchs- material, konventioneller Strom zu Ökostrom und herkömmliche Beleuchtung flächendeckend durch LED ersetzt.

Zusammen mit der Installierung einer Photovoltaikanlage auf dem Dach des Gropius Baus reagierte die KBB damit auf die am stärksten ins Gewicht fallende Umweltauswirkung einer kulturellen Institution, die eigene Häuser verwaltet, nämlich die des Energie- und Ressourcenverbrauchs3. Beide Häuser stellen sich außerdem einer energetischen Generalsanierung, die im Fall des Hauses der Berliner Festspiele bereits angelaufen ist und im Jahr 2022 abgeschlossen sein wird. In mehreren Bauabschnitten wurde neben strukturellen Maßnahmen an Fassaden, Fenstern und dem Dach die Belüftungs- und Heizanlage saniert sowie die Haustechnik unter der Berücksichtigung ökologischer Aspekte erneuert. Das Resultat: Zwischen den Jahren 2016 und 2019 hat sich der Gesamtenergieverbrauch um etwa 23 Prozent reduziert4. Eine energetische Gebäudesanierung wird in den nächsten Jahren auch im Gropius Bau umgesetzt. Grundsätzlich werden hierbei ökologische Aspekte im gesamten Prozess mitgedacht sowie auch die Klimatisierung einzelner Teilbereiche der Ausstellungsfläche infrage gestellt. Die Montage einer modernen, nach Etagen und Gebäudeteilen differenzierenden Klimaanlage und der Wunsch, weniger Beton zu verwenden, sind angestrebt, um den Energieverbrauch insgesamt zu senken. Denn nicht alle Kunstwerke erfordern eine Klimatisierung, und darauf können sowohl die Programmplanung als auch das Sanierungskonzept eingehen.

In Bezug auf den zweiten bedeutenden Hebel des institutionellen Umweltschutzes, der Mobilität, erließ die KBB im Jahr 2019 eine neue Dienstreiserichtlinie. Sie verpflichtet alle Mitarbeiter*innen, Reisen innerhalb Deutschlands mit der Bahn anzutreten, und verbietet faktisch alle Inlandsflüge, unabhängig von höher anfallenden Kosten. Auch der betriebliche Fuhrpark durchläuft einen Umstieg auf E-Mobilität, und für kurze Strecken werden den Kolleg*innen Lastenräder zur Verfügung gestellt.

Innerhalb der Festivals gibt es seit Jahren überwiegend vegetarisches Catering, das Wasser kommt gefiltert in eigenen Festspiel-Wasserflaschen, und Merchandise-Produkte werden in reduzierter Auflage aus nachhaltigen Quellen bezogen. Ferner widmet sich das Team des Theatertreffens um Katharina Fritzsche und Yvonne Büdenhölzer seit mehreren Jahren der Frage, wie sich Festivals langfristig ökologisch nachhaltiger organisieren lassen. Auf dieser Grundlage entstand 2021 in Zusammenarbeit mit dem Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien das „Forum ökologische Nachhaltigkeit im Theater“, das als Ort des voneinander und miteinander Lernens dient und den Aufruf zu einer nachhaltigen Produktionsweise verhandelt. Die für die 10er Auswahl des Festivals nominierten Theater und Produktionshäuser wurden dazu aufgefordert, zwei Mitarbeiter*innen zu Green Ambassadors/Grünen Botschafter*innen zu ernennen, die das Wissen und die Erkenntnisse aus den Workshops und Vernetzungstreffen des Forums in ihre eigenen Häuser tragen. Zusätzlich begann das Theatertreffen im Jahr 2019, sich jedes Jahr einer Klimabilanzierung zu unterziehen, also alle organisatorischen Prozesse und Aktivitäten des Festivals in Emissionswerte zu übertragen. Warum? Wie im Gesamtbetrieb der KBB lassen sich so auch in einem einzelnen Festival Maßnahmen entwickeln, die zu reduzierten Mobilitätsemissionen führen, weil zum Beispiel durch ein Tour-Pooling über Kooperationen mit anderen Festivals die Produktionen und Gastspiele weniger hin- und herreisen müssen. Zum anderen kann aber auch Strom gespart werden, indem Probenverhältnisse geschaffen werden, bei denen zum Beispiel nicht alle Scheinwerfer auf Hochtouren laufen müssen. Nicht umsonst sagte der Nachhaltigkeitspionier Peter Drucker: „You can’t manage what you don’t measure“. Denn erst das Wissen über den eigenen Ressourcenverbrauch und die Emissionsquellen schafft die Voraussetzung zu einer Optimierung unserer Maßnahmen. Das Ziel des Theatertreffens lautet daher, das verschwenderische Theater in ein zukunftsfähiges Theater zu verwandeln.5

Im Zuge der Nachhaltigkeitsbemühungen finden für das Kollegium der KBB seit 2013 wiederholt Schulungen und Coachings statt. Zusätzlich wurde die „Umwelt-AG“ ins Leben gerufen, die regelmäßige „Umweltsitzungen“ organisiert. Darin werden nicht nur arbeitsübergreifende Inhalte, wie zum Beispiel das Bedürfnis nach mehr öffentlichkeitswirksamer Kommunikation klimarelevanter Themen, behandelt, sondern auch konkrete Pläne entwickelt, die das gemeinsame Ziel der Reduzierung der betrieblichen Gesamtemissionen verfolgen. So entstanden aus eigener Initiative heraus Leitfäden, die über den Einflussbereich des EMAS-Systems hinausgehen und dennoch wichtige Bereiche des kulturellen Alltags abdecken, zum Beispiel zu den Themen nachhaltiges Catering oder nachhaltige Veranstaltungsorganisation. Die Teilnahme an den Sitzungen oder Aktionen wie dem „World-Cleanup-Day“ im angrenzenden Stadtpark erfolgt freiwillig, wird aber von der Geschäftsführung als Arbeitszeit angerechnet und dient dazu, die Bedeutung des Themas im Unternehmen zu unterstreichen.

Natürlich gibt es in einem international agierenden Kulturbetrieb auch Emissionen, die nicht zu vermeiden sind. Unverzichtbare Flugreisen werden kompensiert und folgen dem Grundsatz zur Reduzierung des eigenen Fußabdrucks, demzufolge es gilt, Emissionen zuerst zu verhindern, dann zu verringern und als Letztes, wenn beides nicht möglich ist, zu kompensieren. Deshalb unterstützt die KBB das Projekt „Moor-Futures“, das im nahegelegenen Umfeld Berlins die Wiedervernässung trockengelegter Moore jährlich mit einem fünfstelligen Betrag fördert. Denn intakte Moore, genauso wie intakte Wälder und Ozeane, binden Kohlendioxid zeitweilig oder dauerhaft und begünstigen somit den Klimaschutz.6

Welche künstlerischen Entscheidungen sind in Anbetracht der Klimakrise noch tragbar? Und können wir als Kulturinstitution den Bewusstseinswandel weiter ankurbeln? Wie können wir Nachhaltigkeit als Qualität und Chance für die Zukunft anstatt als Verzicht auf Gewohntes oder Verlust erlebbar machen? Mit solchen Fragen befasste sich das komplexe Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekt „Down to Earth“, das im Rahmen der Programmreihe „Immersion“ entwickelt wurde. Als radikales Veranstaltungsexperiment erprobte und veränderte das Projekt die Ausstellungspraxis einer international beachteten Institution, ohne durch diese Neuerungen die Erfahrung von Verlust zu erzeugen. Stattdessen kreierte „Down to Earth“ eine Atmosphäre unmittelbarer Gastlichkeit und zwischenmenschlicher Begegnung im Gropius Bau, eine Kultur des Respekts für andere Spezies und des Empowerments von Akteur*innen, deren gesellschaftlich wertvolle Praxis in Kulturinstitutionen normalerweise keine Stimme erhält wie zum Beispiel die Künstlerin und Aktivistin Joulia Strauss, die im Rahmen der Avtonomi Akadimia in Athen indigene Wissensformen vermittelt.

Im Rahmen dieses Alternativkonzepts wurde auf jegliche technischen Extras wie elektrisches Licht, Lautsprecher oder Bildschirme verzichtet, wodurch alle Präsentationen der Werke ausschließlich live und unplugged stattfanden. Dies fiel umso mehr ins Gewicht, als das Konzept dieses Projekts neben einer 2000 m2 großen Ausstellung auch Praxismodule, Performances, Konzerte und die Workshops zweier Akademien aus Athen und Paris enthielten. Dabei kristallisierten sich Grundfragen für den Betrieb eines Ausstellungshauses exemplarisch heraus: Ist es legitim, Kopien bestimmter Werke zu zeigen und damit aufwendige Transporte von Originalwerken und Produktionen zu vermeiden? Wie lässt sich der Verbrauch verwendeter Materialien reduzieren, öffentlich machen und nachhaltiger gestalten? Und ist eine Raumtemperatur von 20 °C und eine Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent für zeitgenössische Kunstwerke noch zeitgemäß?

Als Antwort auf diese Fragen hat das kuratorische Team von „Down to Earth“ alle Verbräuche des Gropius Baus veröffentlicht und nach Konzepten des re-use optimiert. Alte Poster und Plakate wurden auf ihrer Rückseite neu bedruckt und zum Cover der Projektbroschüre. Da der Energieverbrauch im Druckprozess stark durch die Farbigkeit der Darstellungen beeinflusst wird, wurde in den Publikationen auf Farbe verzichtet und die schwarze Ölfarbe durch emissionsarme Algenfarbe ersetzt. Bei den Materialien für den Veranstaltungsaufbau wurde auf die Wiederverwertbarkeit geachtet, Künstler*innen wurden aufgefordert, ihre Arbeiten unter ökologischen Gesichtspunkten neu zu reflektieren, und alle Flüge der Gäste, Künstler*innen und Kurator*innen wurden ausnahmslos durch Bahnreisen ersetzt. Schließlich wurde auch die Notwendigkeit strenger klimatischer Bestimmungen diskutiert, was dazu führte, dass die Verantwortlichen der Programm- und Geschäftsleitung in den Keller und aufs Dach stiegen, um mit den Expert*innen des eigenen Unternehmens zu sprechen und sich mit ihnen ein Bild von der Lage und ihren Erfahrungen zu machen. Das bedeutete auch, ein neues Konzept von Kollegialität und betrieblichem Miteinander zu entwickeln, das über eine administrative und verwaltungstechnische Planung hinausgeht.

Neben den ökologischen Ansätzen experimentierte „Down to Earth“ mit der Veränderung des Angebots, das klassische Institutionen bei der Umsetzung eines Programmthemas entwickeln können. Die ausgestellten Objekte und Installationen machten dabei nur einen Teil des gesamten Programms aus, das den Fokus auf Workshops, Live Art, Interventionen und soziale Module wie das vor dem Gebäude eingerichtete Repair Café, die gemeinsame Errichtung eines Tiny House oder die Durchführung eines animistischen Ndeup-Rituals des senegalesischen Künstlers Mansour Ciss Kanakassy legte. Begleitet wurden diese Angebote über sechs Wochen durch Vorträge von Pionier*innen des ökologischen Wandels, sodass Down to Earth weder bloß eine Ausstellung noch bloß ein Festival war, sondern eine kollektive und kulturelle Praxis neuen Handelns und Denkens. So kulminierte letztlich das Ausstellungsprojekt in der Neuverhandlung scheinbar unveränderbarer Routinen des Kulturbetriebs: Warum sind die Klimadaten ausschlaggebend für den Leihverkehr? Und wie wirkt sich das auf das Projekt aus? Das Team der Programmreihe „Immersion“ verhandelte für ausgestellte Kunstwerke Leihverträge, die keinen Zwang zur Erfüllung der 20/50-Regel mehr enthielten und klärte auch die damit im Zusammenhang stehenden Versicherungsfragen. So entstand eine durchaus aktivistische Perspektive, die gängige Prozesse aufbricht, öffentliche Debatten anregt und juristische Regelungen neu gestaltet.

Albert Einstein sagte einst, dass man Probleme nicht mit derselben Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind. Die Berliner Festspiele haben seit 2012 verschiedene Initiativen ergriffen, ihr Denken und Handeln entsprechend dieser Überlegung verändert und verdanken in diesem Prozess sehr wertvolle Impulse ihren eigenen Mitarbeiter*innen, die innerhalb und außerhalb von künstlerischen Projekten beharrlich nach anderen Wegen und Veränderungen gesucht haben und die schließlich auch radikale Veränderungen in der Praxis der täglichen Programmarbeit auf den Weg brachten.

Diana Palm ist Autorin und Kulturmanagerin.

1Bernd Sommer / Harald Welzer: Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne. Oekom Verlag. München 2017, S. 40.

2EMAS: „Über EMAS“, https://emas.de/was-ist-emas. (Zugriff am 12. Mai 2021).

3Körber-Stiftung: „Theater klimaneutral?“, https://www.youtube.com/watch?v=qhD-RE-n5d6c (Zugriff am 24. März 2021).

4Karin Winkelsesser: „Zurück in die Steinzeit müssen wir auch nicht“, in: Theater Heute, Nr. 7, 2021, S. 52–56.

5Ebd., S. 56.

6Bernd Sommer / Harald Welzer: Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne. Oekom Verlag. München 2017, S. 15.

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