Kommentar
Wir müssen draußen bleiben
Noch nie saß einer von uns in der Jury des Berliner Theatertreffens
von Igor Karamasow
Erschienen in: Theater der Zeit: Für eine kurze, lange Minute – Die Schauspielerin Valery Tscheplanowa (05/2014)
Assoziationen: Debatte Berliner Festspiele
Wir alle lieben Supermärkte. Nicht erst seit Friedrich Liechtenstein für Edeka Reklame macht, indem er all die Waren dort und die Stimmung noch dazu mit seinem Hit „Supergeil“ veredelt. Bald zehn Millionen Klicks auf YouTube. Sehr geile Fritten, sehr geiler Dorsch, oh!, Klopapier, sehr, sehr geil, super. Superlecker, supersüß, superknusper, supersexy. So sehen auch wir den Supermarkt, und wir würden gerne dazu tanzen wie Herr Liechtenstein, wenn wir nur dürften. Denn vor den Türen haben sie Verbotsschilder aufgestellt, mit unseren Köpfen, allesamt rot durchgestrichen: Wir müssen draußen bleiben.
Draußen, sagt der Online-Duden, heißt a) außerhalb eines Raumes, Gebäudes und b) irgendwo weit entfernt. Als Beispiel führt er an: Die Hunde müssen draußen bleiben. Dabei gibt es gute und böse Hunde, kluge und dumme, stumpfe und scharfe. Doch in einen Supermarkt lassen sie weder die einen noch die anderen hinein. Und so denken auch wir, wie der Online-Duden denkt, weil im Zweifel hat er immer recht. Wir denken: Hunde, und wir denken: draußen bleiben.
Der Supermarkt, den wir meinen, ist das Berliner Theatertreffen, genauer gesagt, die Supermänner und Superfrauen, die über die Auswahl entscheiden, kurz, die Jury. Zurzeit sieben Köpfe, welche die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen aushecken. Unsere Köpfe sind nicht dabei. Nicht dieses Jahr, nicht letztes, nicht vorletztes Jahr. Die Wahrheit ist bitter: Noch nie ist ein Hundskopf der Redaktion unserer Zeitschrift hineingelassen worden. Dabei wurde das Treffen schon 1964 gegründet. Na gut, früher waren wir abgetrennt durch die Mauer, draußen, irgendwo weit entfernt. Doch seit der Öffnung der Grenzen sind fast 25 Jahre vergangen. Aber immer noch Nein, wir müssen draußen bleiben. Und das, obwohl die geschätzten Kollegen von Theater heute, die fast eine ebensolche Superzeitschrift wie Theater der Zeit erstellen, immer einen unterbringen, nach einer Art geheimer Rotation.
Aktuell sitzen sechs von uns vor der Tür, vorsorglich angeleint. Der große alte Martin Linzer, Supererfahrung, superkorrekt. Dorte Lena Eilers und Mirka Döring, zwei Frauen, die das Heft zum Blühen bringen, superknusper, superwauwau. Noch dazu Gunnar Decker, Superbücher, Superartikel. Und Sebastian Kirsch, superclever, Superkontext, bald eine Million Klicks, toll. Einen Superchef haben wir auch, oh!, was für einen Chef, sehr, sehr geil, super. Super-Müller, Harald, hat noch dazu einen Superverlag, der nichts als Superbücher herausbringt, sehr, sehr geile Theaterbücher.
Wir wollen rein in die Jury! Reingelassen haben sie Thomas Oberender, als Boss von dem Ganzen, das Festspiele heißt. Kommt zwar auch aus dem Osten, wo die Sonne aufgeht, macht aber nichts, nichts bei ihm. Trotzdem hat nicht mal er die Verbotsschilder weggeräumt. Er stellt sich taub, wenn wir kläffen, weil winseln tun wir nicht. Mit ihm kannst du am Lagerfeuer sitzen und stundenlang über Botho Strauß nachdenken. Aber ein Herz für die Hunde da draußen, das hat er nicht.
Der Online-Duden, verlässlich wie immer, schlägt für draußen ein Antonym vor: drinnen. Supervorschlag, supergeil. //