Theater Chemnitz: Romeo und Julia auf dem Schrotthaufen
„Zwischen den Dingen sind wir sicher“ von Laura Naumann – Inszenierung Ulrike Euen, Bühne Stella Brauer, Kostüme Tabea Jorcke
von Lara Wenzel
Assoziationen: Theaterkritiken Sachsen Ulrike Euen Theater Chemnitz
Zwischen Innen und Außen, Geborgenheit und Gefahr verläuft eine klare Grenze. Ein Wall aus Wellblechen soll die Behausung vor Müll, Gewalt und giftigem Regen schützen. Dabei bröckelt der Frieden im Inneren längst, den die elternlosen Geschwister gegen die unwegbare Welt aufrichten wollen. Das postapokalyptische Szenario von „Zwischen den Dingen sind wir sicher“ spielt Konflikte zwischen Kindern durch, die über Nacht groß werden mussten. Gerade weil die Geschwister Bandito und Sascha in die Elternrolle für ihren kleinsten Bruder Techno schlüpfen und Erziehungsberechtigte mehr nachahmen als sind, wiederholen sie auch die Grausamkeiten der Erwachsenen. Die Schauspielstudierenden Kevin Bianco, Luis Huayna, Dana Koganova und Hubert Chojniak probieren sich am Schauspiel Chemnitz in einer bedrückenden „Herr der Fliegen“-Variation. Nur sind die Kinder nicht auf einer paradiesischen Insel auf sich selbst gestellt, wie im Roman von William Golding, sondern hausen in einer Ruinenstadt.
Zwischen Wellblech und Autoreifen ergibt sich ein tristes Zukunftsszenario, für das Stella Brauer die Bühne und Tabea Jorcke die Kostüme gestaltete. Mit Regenjacken, Cargohosen und futuristischen Helmen weckt die Szenerie Assoziationen zu Science-Fiction Filmen wie „Mad Max“ oder „Blade Runner“. Allerdings versucht sich die Inszenierung von Ulrike Euen nicht an einem gesellschaftskritischen Blick auf die Gegenwart, wie es im Genre üblich wäre, sondern bleibt bei sehr allgemeinen Überlegungen stehen. Im geschützten Heim, das durch eine drehbare Wand auf der Bühne geöffnet oder geschlossen werden kann, zanken sich die Geschwister um ihre Zukunft: Sollen sie in der verseuchten Heimat bleiben oder woanders ihr Glück suchen? Bleiben sie lieber für sich oder verbünden sie sich mit den Zurückgebliebenen außerhalb ihres Bunkers? Zwischen den draußen patrouillierenden Wächtern und einer Gang, die diese Besatzer ausschalten will, geraten die Geschwister zwischen die Fronten. Bandito, die Koganova burschikos und bestimmt spielt, sucht eine neue Bestimmung als Teil der bewaffneten Bande, während Sascha in der Begegnung mit dem Wächter Rascasse etwas ganz anderes findet.
Vorsichtig nähern sich die beiden Jungen an und lassen ihre harten Fassaden bröckeln. Nicht nur die Handlung auch das Schauspiel wird durch die Liebe zwischen den verfeindeten Lagern facettenreicher. Wo vorher erwachsene Darsteller:innen Kinder gespielt haben, die souveräne und unbeugsame Erwachsene verkörpern wollen, sieht man nun verletzliche Jugendliche auf der Bühne, die ihren ersten Kuss erleben. Dabei verwischt die blaue Farbe im Gesicht Rascasse‘, sein Stammeszeichen, und färbt auf seinen Liebhaber ab. Die Fremden werden sich ähnlicher, während sich die Schwester Bandito weiter zu radikalisieren scheint. Sein überraschendes Ende findet das postapokalyptische Drama von Laura Naumann als der jüngste Bruder Techno mit einem Selbstmordattentat die Siedlung der Besatzer in die Luft sprengt und so alle Hinterbliebenen in Trauer und Schmerz zusammenführt.
Ein paar Striche im Text und dafür mehr Nuancen in der Beziehung der Charaktere untereinander hätten dieser Nachwuchsinzenierung sicher gutgetan. Teilweise unbeabsichtigt komisches Kinderspiel trifft in der Studioinszenierung auf einen überladenen und bedeutungsschwangeren Plot über die Radikalisierung traumatisierter Kinder und die Kraft der Liebe. Trotz der aufkeimenden Love-Story, die eine mögliche Versöhnung zwischen den Welten andeutet, versinkt mit der überschäumenden Gewalt doch alles in Trostlosigkeit. Trost soll das am Ende projizierte Märchenbild eines Schwans spenden, in das sich der Junge Techno verwandelt habe, um der Bürde des Menschseins zu entkommen. Ist das der Ausweg aus der Tristesse?
Erschienen am 4.11.2024