Thema
Langjähriger Dialog
Anmerkungen zur Arbeit als Hausregisseur
Die Inszenierungen des ursprünglich an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin als Puppenspieler ausgebildeten Regisseurs Moritz Sostmann changieren meist zwischen Schauspiel und Puppenspiel. Viel beachtete Arbeiten waren u.a. „Die Buddenbrooks“ am Puppentheater Halle, Shakespeares „Richard III.“ am Puppentheater Magdeburg sowie „Der gute Mensch von Sezuan“ und beide Teile des „Faust“ oder neuerdings „Das Opferfest“ am Schauspiel Köln. Dort ist Sostmann seit 2013 Hausregisseur. Für double berichtet er von dem besonderen Forschungspotenzial, das diese Position bietet.
von Moritz Sostmann
Erschienen in: double 44: Regie? – Zwischen Autor*innenschaft und Außenblick (11/2021)
Assoziationen: Nordrhein-Westfalen Sachsen-Anhalt Puppen-, Figuren- & Objekttheater Schauspiel Köln
Seit ich Hausregisseur am Schauspiel Köln bin, werde ich immer wieder gefragt, ob ich denn nur mit Puppen arbeiten würde. In den ersten Jahren fand ich diese Frage zumindest komisch. Stefan Bachmann hatte mich mit Beginn seiner Intendanz nach Köln eingeladen, weil er die Arbeit der tollen Suse Wächter, die in der Zeit von Karin Beier sehr erfolgreich war, in anderer Form, aber auch einer gewissen Kontinuität weiterführen wollte. Ich aber sah mich nicht als expliziten Puppenspiel-Regisseur, sondern als einen Theatermacher, der Eigenheiten und Qualitäten des Puppenspiels mit denen des Schauspiels verbinden wollte, so wie meine eigene Spielerbiografie ja auch immer ein Wandern zwischen den Welten gewesen war.
Mich interessierten weniger die unerschöpflichen Animationsformen von Material, sondern vor allem literarische und dramatische Stoffe und deren Umsetzung mit Menschen und menschenähnlichen Puppen gleichberechtigt nebeneinander – die Fortführung des Schauspiels mit anderen Mitteln. Prompt mischte ich gleich für die erste Inszenierung, es war Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, die Darsteller querbeet, ließ die Schauspieler an die Puppen greifen und die Puppenspieler Schauspielrollen übernehmen. Als Hausregisseur konnte ich drei Darsteller meiner Wahl mit ins Ensemble bringen und hatte mit Magda Lena Schlott, Philipp Plessmann und Johannes Benecke, mit denen mich eine längere Zusammenarbeit verband, drei „Buddies“ zur Seite, die den Drang und die Verdrängung hatten, sich mit dem Schauspielensemble zu „vermischen“. Denn es war explizit der Plan, nicht eine Puppenspielsparte zu gründen, sondern die Grenzen der Genres verschwimmen zu lassen, am besten aufzuheben. Das hatte in den ersten Jahren großen Erfolg. Die poetischen Möglichkeiten des Puppenspiels und die Puppen selber strahlten in den Rest des Ensembles aus, und die Schauspieler der anderen Hausregie (jede/r von uns Vieren hatte „seine/ihre“ Leute mitgebracht) bewarben sich um Arbeiten mit mir/uns, um diese Form kennenzulernen. Stefan Bachmann, der ursprünglich vielleicht selbst in seinen Inszenierungen nach Erweiterungen durch das Genre des Puppenspiels suchte, überließ mir das Feld und gab jedwede Freiheit, weiterzuexperimentieren.
Die Produktionen wurden größer, die Puppenbudgets auch, es kamen Gäste dazu, den Höhepunkt bildete die Inszenierung von Lars Norens „3.31.93“, mit einer Personage von 26 Charakteren, gespielt von zehn Darstellern und 14 Puppen, völlig gleichberechtigt nebeneinander auf der Bühne. Das war 2016, im Jahr der geplanten Wiedereröffnung des alten Schauspielhauses in Köln, die dann bekanntlich bis heute nicht stattgefunden hat. Danach setzte eine gewisse Gewöhnung oder Routine ein, sowohl beim Publikum, bei der Kritik, als auch im Haus selbst, wie es wahrscheinlich dem Hausregisseurs-Prinzip immanent ist und auch sein sollte. Alle wirklich engen Ensembles haben eine „Halbwertszeit“, dann muss Veränderung her. Die drei Darsteller „mit Puppenspielverpflichtung“ waren nicht mehr uneingeschränkt begeistert davon, jede Spielzeit zwei Inszenierungen mit mir zu machen, wollten andere Wege beschreiten, erbaten sich Auszeiten, kündigten. Die Kritik hatte sich ein wenig an das Genre gewöhnt, ich selbst hatte den Eindruck, mich an anderes heranarbeiten zu müssen, misstraute der Puppenart und ihrem gewinnenden Wesen, und die Leitung bevorzugte, lapidar ausgedrückt, wieder mehr à la carte als das Hausmenü.
Da Stefan Bachmanns Spielzeit im Interim immer wieder nur um zwei Jahre verlängert wurde, konnte ich nicht guten Gewissens neue Leute fest ins Ensemble nach Köln einladen und versuchte, mit Gästen weiter zu arbeiten. Das hatte natürlich einen bestimmten Reiz – Köln konnte es sich leisten, und ich lernte neue Leute in neuen Konstellationen kennen. Aber schon nach der ersten Spielzeit war zu spüren: Ich war nur noch auf dem Papier, nicht aber mehr in der Realität Hausregisseur. Die Anbindung ging verloren, die Gäste hatten wenig oder nichts mehr mit den festangestellten Kollegen zu tun, teilten nicht die gleichen Erfahrungen, nicht die gleichen Regisseure, nicht die gleichen Kneipen. Es gab, abgesehen von den guten Arbeitsbedingungen und den vertraglichen Vereinbarungen, keinen Grund mehr, diese Arbeiten hier in Köln zu machen. Sie hätten auch in jeder anderen Stadt, in jedem anderen Ensemble stattfinden können, was sie dann auch taten, z.b. bei Enrico Lübbe in Leipzig. Es fehlte den Arbeiten die (wenn man dieses strapazierte Wort in dem Zusammenhang überhaupt gebrauchen mag) Identität, die Erfahrung des Ensembles im Umgang miteinander, mit den Techniken dieser Mensch-Puppe-Kombination, ihren Möglichkeiten und Nuancen. Und hier liegt für mich die große Qualität des Hausregisseursprinzips: in der Chance, einer kruden Truppe die Zeit zu geben, Kunst wieder Kunst sein zu lassen und nicht nur gesellschaftliche Aufgabe, den Blick für das Wahre, Schöne und Gute zu öffnen; in der Entwicklung eines gemeinsamen Stils, einer Verfeinerung, Anpassung und Erweiterung der jeweils speziellen Kunst und ihrer Fertigkeit. Bei einer Gastregie bleibt in dieser Hinsicht vieles an der Oberfläche, auch wenn das Resultat von außen besehen wie die gleiche Handschrift erscheinen mag, in meinem Falle der „Sostmannsche Stil“. Aber den gibt es ja eigentlich gar nicht wirklich, sondern er entstand aus dem langjährigen Dialog zwischen Leuten, die miteinander arbeiteten und Entdeckungen machten, verwarfen, sich langweilten und aus dem Überdruss neue Nuancen erfanden und auch die stetige Weiterentwicklung und immer größer werdende Differenziertheit der Puppen von Hagen Tilp goutierten.
Immer wieder denke ich an eine kurze Szene aus Kafkas „Amerika“, in der Schlott, Plessmann und Benecke die kleine Karl-Rossmann-Puppe, mit einem Koffer und einem Schirm bewaffnet, zu ebener Erde viele verzweifelte Runden über die viel zu große Bühne des Depot laufen lassen. Mitunter gab das Szenenapplaus für die drei Spieler, die sich in rührend-absurder Selbstaufgabe und in perfektem Zusammenspiel bis zur Erschöpfung um ein kleine Figur bemühen. So etwas entsteht nicht in sechs Wochen Inszenierungszeit, sondern über Jahre, nach denen man auf Gemeinsames zurückgreifen, zusammen klingen und tanzen kann. Und dafür gibt es das Prinzip des Hausregisseurs. Gäbe es das nicht, müssten viele Regisseure eine Compagnie gründen oder gleich ein ganzes Haus übernehmen. – www.schauspiel.koeln