Theater der Zeit

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Auftritt

Staatstheater Darmstadt: Jedermann im Bällebad

„Jedermann ist niemand und niemand ist Jedermann“ Ein Meta-Mysterienspiel von Kieran Joel nach Hugo von Hofmannsthal (UA) – Regie Kieran Joel, Bühne Barbara Lenartz

von Björn Hayer

Assoziationen: Hessen Theaterkritiken Staatstheater Darmstadt

„Jedermann ist niemand und niemand ist Jedermann“ am Staatstheater Darmstadt. Foto Nils Heck
„Jedermann ist niemand und niemand ist Jedermann“ am Staatstheater DarmstadtFoto: Nils Heck

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Noch ganz geprägt vom Ästhetizismus Stefan Georges, dessen auratischem Kreis Hugo von Hofmannsthal zeitweilig angehörte, schuf er mit seinem „Jedermann“ ein Werk, das nicht an Pathos spart. Um den titelgebenden Helden scharen sich Personifikationen wie Glaube und Mammon genauso wie die hehren Gegenspieler Gott und Teufel. Größer, mächtiger, ambitionierter geht’s also kaum, zumal sich das Drama vor allem der wohl existenziellsten Frage überhaupt widmet – nämlich der nach dem Tod. Erst als der Protagonist ihm ins Gesicht blickt, wird der reiche Dekadent geläutert und vermag mit reinem Gewissen sein Schicksal anzunehmen.

Könnte in der Originalfassung, uraufgeführt 1911 von Max Reinhardt und seither ritueller Bestandteil aller Salzburger Festspiele, der spröde Kunstcharakter allein schon in den Knittelversen anklingen, hat man nun mit einer Überschreibung des Textes am Staatstheater Darmstadt kräftig abgerüstet. Mehr noch: Aus dem weltumspannenden Klassiker ist in Kieran Joels Fassung eine gleißende Parodie oder, wie es im Untertitel heißt, ein „Meta-Mysterienspiel“ geworden. Unter der Regie des Autors mimt nun keine:r mehr eine Schablonenrolle. Stattdessen sind sich alle in unsere Gegenwart geworfenen Akteure gänzlich darüber im Klaren, was sie tun und was mit ihnen geschieht. Gott und der Teufel beklagen gleich zu Beginn, dass sie längst keine Bedeutung mehr haben, die Schauspieler:innen werden sich indessen bewusst, wie wenig lukrativ überhaupt ihr Gewerbe ist. Vor allem weiß der auf drei Spieler:innen aufgeteilte Jedermann (Sebastian Schulz, Naffie Janha, Béla Uhrlau) aber, dass er mit seinem Reichtum, seinen unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellten T-Shirts und seinem ausschweifenden Stil auf Kosten des Planeten lebt.

Während hier und da Projektionen brennender Wälder oder reißender Fluten auf der hinteren, völlig in rosa gehaltenen Kulisse zu sehen sind, erinnert der Vordergrund an ein Kinderspielland (Bühne und Kostüme: Barbara Lenartz). Neben einem elektrischen Schaukelelefanten, wie man ihn beispielsweise aus Kaufhäusern kennt, befinden sich dort eine Rutsche und ein Bällebad – eine durch und durch symbolische Requisite, die nichts anderes als die infantile Verdrängungsphilosophie des Superwohlhabenden, ja mithin eigentlich der westlichen Welt veranschaulichen soll. Hier wird gesungen und getanzt. Varieté-Stimmung kommt auf, mit ziemlich viel Humor und Klamauk. Allen voran die Pappmaché-Masken, die Rollenträger wie Mutter und Vater mit übergroßen Köpfen zeigen und wiederum die holzschnittartigen Figuren Hofmannsthals aufs Korn nehmen, und die herrlich absurd gespielten allegorischen Figuren wie der Tod, der betreten die Bühne verlässt, nachdem ihm der Protagonist seine fehlende Angst vor ihm signalisiert hat, tragen zu herrlichem Amüsement bei.

Und doch läuft sich diese Chose leer. Unentwegt kurbelt das Stück „Jedermann. Jedermann ist niemand und niemand ist Jedermann“ die immergleicher Reflexionstrommel über soziale Ungerechtigkeit an. Mal klagt ein Klischeearbeiter über den deprimierenden Raubtierkapitalismus, mal verwickelt das figurierte Geld Hofmannsthals Hauptcharakter in die Quizshow „Schlag den Mammon“, in der es den reichsten Mann der Welt zu erraten gilt. Dazwischen darf natürlich auch die Liebe nicht fehlen. Sie begegnet uns ebenfalls im spätmodernen Ornat – als Tinderdialog zwischen Jedermann und der Buhlschaft (Jasmin-Nevin Varul).

Pointiert, aber doch etwas zu lang geraten, grotesk, aber bisweilen zu sehr blödelnd fällt die Neubearbeitung des kanonischen Textes letzthin medioker aus.  Hofmannsthal als Karikatur? Warum nicht! Nur etwas mehr thematische Variation als bloß Finten auf den Neoliberalismus hätte es schon sein dürfen.

Erschienen am 28.5.2023

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