Thema: who’s next?
Der Gastgeber
Der Videokünstler und Regisseur Alexander Giesche lädt mit seinen atmosphärischen Visual Poems zur Kontemplation ein
von Mirka Döring
Erschienen in: Theater der Zeit: Song of Smoke – Der Regisseur und Musiker Thom Luz (05/2015)
Assoziationen: Bremen Akteure Theater Bremen
Süß und klebrig ist er: der Kunsthonig, der im Theater Bremen produziert wird. – Was wie eine etwas bemühte Metapher klingt, darf wörtlich genommen werden. Seit rund zwei Jahren leben 60 000 Bienen auf dem Dach des Theaters und sammeln Honig. Initiiert hat das Alexander Giesche, der von 2012 bis 2014 Artist in Residence am Haus war und dort die Performancereihe „Giesche trifft …“ erfunden hat. Meistens traf er Ensemblemitglieder, in diesem Fall aber traf er: die Bienen.
Dass das Bienensterben katastrophale Folgen für den Menschen hat, ist nichts Neues. Der Kreis ist klein: Sie sterben am Menschen. Nun stehen sie auf dem Dach des Theaters, von wo aus sie als Performer in die Stadt schwärmen. Das Bild lässt sich nicht nur als programmatische Ansage lesen, sondern auch als plakative Frage: Was passiert, wenn wir die Kultur sterben lassen?
Zur Bienenperformance, die Giesches Beitrag zum Zukunftsfestival Mahagonny (siehe TdZ 9/2013) war, mit dem sich das Theater 2013 in die Spielzeitpause verabschiedete, sagt er etwas auf eine Weise, die auch ein bisschen symptomatisch für seine künstlerische Arbeit ist. Man hört fast, wie seine Synapsen knacken, wenn er wach und klar und schnell vom Kleinen ins Große ins Abstrakte ins Banale ins Grundsätzliche mäandert: „Wir haben gedacht, wir schenken der Stadt Kultur, indem wir ihr einen Bienenstock schenken. Uns ging es darum, für die Stadt Theaterhonig zu produzieren; der wird auch nach wie vor da oben gemacht, ein Imker betreut die Bienen. ‚Erst wenn die letzte Biene gestorben ist, wird man merken, dass es keine Blumen mehr gibt.
Wir haben während des Festivals auch mit einer Drohne gearbeitet, die über dem Theater geflogen ist und Livebilder gesendet hat. Ein Performer macht Zuckerwatte und isst sie zwischen den Bienen, die, das nebenbei, überhaupt nicht auf Zuckerwatte stehen, sondern viel mehr an Lavendel interessiert sind. Und eine Cellistin hat Bach gespielt. Das war so eine Durational-Nummer. Die ‚Giesche trifft‘-Sachen sind alles so kleinere Versuche gewesen, weil ich ein kleines Budget und die Möglichkeit dazu hatte. Das war besonders toll, weil ich gemerkt habe, dass das nicht nur mir, sondern auch dem Haus Spaß macht. Eben solche Formate, wo man nicht so recht wusste: Was ist das jetzt genau, und was wird das überhaupt werden? Und die bisher immer in freien Zusammenhängen stattgefunden hatten, in Gießen und Amsterdam, an Orten, wo wir niemanden fragen mussten: Geht das jetzt, darf man das? Frank Sonnemann und seine technische Direktion waren immer offen, haben immer alles ermöglicht. Ich hab auch eine Sache im Lastenaufzug gemacht und eine Sache im Keller. Jedes andere Theater würde sagen: ‚Wir können dir doch nicht drei Tage lang den Lastenaufzug geben, wie sollen wir denn hier den Betrieb aufrechterhalten?!‘ Aber weil die gemerkt haben, dass ich das extrem ernst nehme und eine große Liebe für so etwas habe … und weil ich so ein Haus als Ganzes denke.“
Auch mal pathetisch oder kitschig zu werden, findet Alexander Giesche okay. Den erhobenen Zeigefinger oder die Moralkeule allerdings nicht. Seine Arbeiten sind offene, durchlässige Assoziationsräume, die keine Antworten präsentieren und Widerspruch dulden – und die Erwartungen des Stadttheaterpublikums vielleicht auch erst einmal unterlaufen, bevor etwas überspringt. „Die Narration findet beim Zuschauer statt, die muss er selbst füllen. Es ist ein Angebot, an dem man sich orientieren kann – aber nicht muss.“
Seine studentische Produktion „Record of Time“, die er zusammen mit seiner Gießener Kommilitonin Lea Letzel gemacht hat, bekam international Aufmerksamkeit und wurde 2011 zum Theaterschulen-Festival Körber Studio Junge Regie nach Hamburg eingeladen, wo er Benjamin von Blomberg kennenlernte, der damals noch Dramaturg am Thalia Theater und Mitglied der Körber-Jury war, bevor er mit Michael Börgerding nach Bremen ging. „Record of Time“ war eine 25-minütige reine Videoarbeit, die beim Körber Studio einschlug und in der öffentlichen Jurysitzung hoch gelobt wurde – mit dem Ergebnis, dass sie dann doch keine einzige Stimme bekam. Das Erlebnis hat zweierlei bewirkt: zum einen die Lust, sich nach der relativ hermetischen Anfangszeit in der freien Szene auch einem anderen Publikum zu öffnen. Zum anderen hat es aber auch das Bedürfnis geweckt, sich am Theaterapparat zu reiben: „Ich fand es unmöglich, wie da mit jungen Talenten als Wettbewerb so jongliert wird. Und am Ende geht es anscheinend doch nur darum, wer gewinnt? Ich bin dann zu Benjamin gegangen und habe gesagt: ‚Lass’ doch mal zusammen einen Kaffee trinken.‘ Dass dann daraus eine Arbeitsbeziehung wurde, freut mich noch immer sehr. Das ist in Bremen schon sehr schön für mich gelaufen – und dennoch muss ich auch sagen, dass ich mich freue, wieder in meine alten Zusammenhänge zurückzukehren.“
Für die zwei Jahre in Bremen hat Alexander Giesche sein nach Gießen begonnenes Studium unterbrochen, den internationalen Studiengang Master of Theatre am DasArts in Amsterdam. Die Zusammenarbeit mit Bremen war eine Win-win-Situation: Der Blick, den das Irrlicht auf das etablierte Stadttheater mitbrachte, war ein anderer. Das Theater von innen heraus verändern, um es so mitzugestalten – darum sollte es viel eher gehen, als Energien in Betriebsunlust-Geseier zu entladen, wie es das „versus“ zwischen freier Szene und Stadttheater so oft praktiziert. Gleichzeitig ist sich der 32-Jährige natürlich bewusst, was für ein Lottogewinn das war, dass er sich dort so lange ausprobieren und entwickeln konnte
In seiner ersten Woche hat er etwas unbedarft zur Leitung gesagt: „Ich würde gerne für alle kochen“ – und hatte dabei nicht auf dem Schirm, dass das Haus 400 Angestellte hat. Inspiriert haben ihn dazu seine Erfahrungen während der Zürcher Marthaler-Intendanz, wo er noch vor seinem Studium mit Stefan Pucher zusammenarbeitete. „Von Marthaler habe ich gelernt, was es bedeutet, Gastgeber zu sein. Die haben einmal im Jahr für die Technik gekocht.“ Mittlerweile gibt es das Betriebsfest, bei dem Giesche, Börgerding und die Dramaturgen nicht nur kochen, sondern auch servieren, im dritten Jahr
Seine Gastgeberqualitäten bewies er auch in einem anderen Format. Dröger Publikumsgespräche überdrüssig, entwickelten Giesche und von Blomberg das Format „Essen und Reden oder andersherum oder alles zugleich“, bei dem sie zusammen mit den Publikumsgästen kochten. „Ich finde die Situation unerträglich, wenn ein Künstler auf dem Podest sitzt und befragt wird“, sagt er. „Und dann muss man sagen, wie man was gemeint hat und was man sich wobei gedacht hat, dabei bin ich viel eher an Begegnungen interessiert und an einer Situation, in der man auch mal über etwas anderes sprechen darf.
Seine drei in Bremen entstandenen Bühnenarbeiten, wortarm und bildreich, er nennt sie Visual Poems, richten sich erst einmal ganz unmittelbar an die Sinne, gleichermaßen meditativ wie ironisch, sie bringen die Spiegelneuronen zum Klingeln – und überfallen den Intellekt von hinten. „Der perfekte Mensch“ kreiste ums fragmentierte Ich und die Suche danach in einer durchgestylten, werbeverätzten Konsumwelt, in der man vornehmlich damit beschäftigt ist, nachzueifern. Giesches Themen sind auf mehreren Eben totale Theaterthemen: weil sie das Individuum in seinem Verhältnis zur Welt befragen und weil sie auf einer Metaebene immer auch das eigene Medium kommentieren: Das Streben nach Perfektion der Darstellung oder Fragen von Nachahmung und Reproduzierbarkeit sind schließlich Theateralltag. Auch seine beiden anderen Bremer Arbeiten „Lost“ (2014, siehe TdZ 9/2014) und jüngst die zum diesjährigen Festival Radikal jung eingeladene Produktion „World of Reason“ beschäftigen sich mit Weltschöpfung und Weltflucht, sei es im lustvollen Verlorengehen von „Lost“, das zuweilen in beängstigende Orientierungslosigkeit kippen kann, oder in der Frage, die „World of Reason“ stellt: Wie kann man der Welt anders begegnen als mit Vernunft
Stadttheater, freie Szene. Schauspiel, Musik- und Tanztheater. Performance, Installation, bildende Kunst – Alexander Giesches Arbeiten zirkulieren in einem Dazwischen. Anfangs nannte er sich noch etwas handwerklich: Performance-Installateur. Mittlerweile kann er den Regisseur als Berufsbezeichnung annehmen: „Ich bin ein Regisseur im Herstellen von Atmosphären nicht nur für ein Publikum, sondern auch im Herstellen von Arbeitsatmosphären. Ich kreiere einen Raum, in dem ich Leute zusammenbringe, um zusammen zu denken. Auch da verstehe ich mich als Gastgeber.“ //