Theater der Zeit

Kolumne

Der wilde Hans von Kosovo

Was mein Künstlermonolog in Prishtina unvermutet über albanische Künstler verrät

von Ralph Hammerthaler

Erschienen in: Theater der Zeit: Work, Bitch – Die Regisseurin Pınar Karabulut (03/2019)

Assoziationen: Debatte

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Hast du das Stück geschrieben?

Ja, ist von mir.

Erstaunlich, denn genau so sieht es bei uns aus. Die Werte verfallen, die Künstler verzweifeln.

An einem Freitag Ende Januar schneit und schneit es auf Prishtina, und eine Zeitlang fürchten wir, dass unser Flugzeug keine Landeerlaubnis bekommt. Besim sagt, nur halb im Spaß, die da unten seien zu faul, die Landebahn freizuschaufeln. So drehen wir also Schleifen im Himmel über Kosovo, leise besorgt, sie könnten uns abweisen und nach Tirana umleiten. Von dort aus wäre es schwer vorstellbar, die Straße nach Prishtina zu nehmen und rechtzeitig im Theater zu sein, die Straße wäre zugeschneit, und selbst die fleißigen Albaner würden sie nicht so schnell räumen können. Aber dann dürfen wir doch hinunter, das Flugzeug setzt auf, der Pilot erhält Applaus, und alle sind erleichtert.

„Alleinunterhalter“ ist das erste meiner ins Albanische übersetzten Stücke, das hier auf die Bühne gelangt. Der Monolog eines gescheiterten Entertainers, der sich für einen großen Künstler hält. Am Ende wird er vom Publikum verhöhnt und verstoßen, von der Presse vernichtet; jemand tritt mit dem Fuß gegen sein Tastofon. Und als wäre das nicht genug, verliert seine junge Geliebte die Nerven und gefährdet seine mit dem Geld der Ehefrau aufrechterhaltene Existenz – er muss sie sich vom Leib schaffen. Zum Glück gibt es Jacques, der nicht buchstabengetreu nach dem Gesetz lebt; jeder weiß es, aber keiner kann ihm etwas anhängen. „Gut, wenn du ihn nicht brauchst; gut auch, wenn doch.“

Naim Berisha spielt Hans Klipp, und er führt auch Regie. Kurz vor der Premiere im Nationaltheater wurde Naim wie Hans Klipp verstoßen und musste in ein anderes Theater ausweichen. Der Nationalintendant wollte ihn im großen Haus nicht haben. Naim sagt, er habe gegen den Intendanten etliche Strafanzeigen gestellt, drei wegen Korruption. Klar, dadurch entsteht keine Zuneigung. Jeton aber, mein Verleger, hat eine andere Version gehört: Naim habe ohne Absprache und Vertrag einfach die Bühne geentert und zu proben begonnen. Da brauche er sich jetzt nicht zu wundern.

Ich weiß nicht, was zutrifft. Aber zu Jeton sage ich, dass ich das eigenmächtige Entern der Bühne für eine coole Aktion halte. Diese Leidenschaft würde ich mir auch fürs deutsche Theater wünschen.

Kosovos Theater ist, durchaus im Sinne Jerzy Grotowskis, ein armes Theater, ganz auf die Schauspieler konzentriert. Und so schmeißt Naim den ganzen Abend, indem er einerseits überdreht, andererseits durchlässig bleibt, fragil, fast schutzbedürftig. Selbst ich verstehe, dass dieser Hans Klipp Albaner ist, ein missachteter Künstler, der sich nach einer Zeit der Wertschätzung zurücksehnt, nach dem alten Jugoslawien. Ich spüre es am Atem des Publikums. Und so wie Matthias Brenner bei der Uraufführung in ­Halle schöne alte Lieder aus der DDR gesungen hat, so lässt auch Naim Berisha schöne alte Lieder spielen und tanzt dazu, alles ein bisschen kitschig, aber nur für Leute, die kein Herz haben.

Auf dem Empfang danach lerne ich Afrim Kasapolli kennen, einen großen alten Schauspieler, der zurzeit in Brechts ­„Arturo Ui“ auf der Bühne steht, natürlich im Nationaltheater. Für das Stück findet er die tollsten Worte, die ich gerne zwei- oder dreimal hören würde, während er an der Aufführung leicht herummäkelt: nicht schlecht, aber nicht so gut, dass sie richtig gut wäre. Ich sehe ihm an, dass er an ein ruhigeres, psychologischeres Spiel denkt, nicht an einen Hans Klipp, der atemlos um sein Leben kämpft. Ohne lange nachzudenken, schlage ich mich auf Naims Seite, seine Wildheit, ­seine Verletzlichkeit.

Später in der Bar sitzen wir, wie es sich auf dem Balkan gehört, in einer Männerrunde zusammen. Naim trinkt keinen Tropfen Alkohol. Er sagt, er als Schauspieler in Kosovo bräuchte eine wie Roswitha, die ihn ernährt. Roswitha heißt die Ehefrau von Hans Klipp, und eine Roswitha wünschen sich alle. Als ich Besim nach den Frauen frage, neigt er den Kopf zur Wand, drüben sind sie, bei der Musik. Auch der Soziologe Shemsi Krasniqi ist in der Runde. Alle, die irgendetwas mit Kunst zu tun haben, haben bei ihm studiert, teils schon in den Neunzigern, in Privatwohnungen, um der serbischen Repression zu entgehen. Naim zum Beispiel oder Jeton, der heute Stücke schreibt und Bücher verlegt, oder auch Florentin, früher ein Maler, der sich der UÇK als Kämpfer anschloss.

Alle seid ihr von Shemsi ausgebildet worden, sage ich, mit analytischem Verstand und sozialem Bewusstsein. Und jetzt nehmt ihr alles so hin. Wo bleibt die Revolution?

Einen Moment lang sagt niemand etwas.

Dann meldet sich Florentin zu Wort: Das Problem ist, dass die Hälfte von uns Alkoholiker sind.

Alle lachen. Und am lautesten lacht Naim, weil ihn das nichts angeht. //

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