Theater der Zeit

Auftritt

Konstanz: Geister schlafloser Nächte

Theater Konstanz: „El Cimarrón“ (UA) nach Miguel Ángel Barnet Lanza. Regie Wolfram Mehring, Ausstattung Dorothee Neuling

von Björn Hayer

Erschienen in: Theater der Zeit: Die Bibliothek des Körpers – Der Tänzer-Choreograf Ismael Ivo (03/2015)

Assoziationen: Theater Konstanz

Anzeige

Anzeige

Es war eine Flucht ins Ungewisse. Aus Lebensmüdigkeit und Verzweiflung. Als der Sklave Esteban Montejo Ende des 19. Jahrhunderts von einer kubanischen Zuckerrohrplantage in einen Wald flüchtete, wusste er kaum, was ihn künftig erwartete. Im hohen Alter lässt er noch einmal die Jahre der Tortur als menschliche Ware, den Ausbruch und überhaupt den großen Kampf seiner Existenz Revue passieren. Welche Unwägbarkeiten und Träume den Weg dieses Helden begleiteten, ist derzeit am Konstanzer Stadttheater zu bestaunen.

Mit minimalistischer Requisite inszenierte Wolfgang Mehring das Einmannstück „El Cimarrón“ nach dem gleichnamigen dokumentarischen Roman des kubanischen Autors Miguel Ángel Barnet Lanza als intensive Charakterstudie und überlässt allen verfügbaren Raum seinem Hauptdarsteller. Imposant und in würdevoller Statur mimt der Togolese Ramsès Alfa – ein bewährter Kulturbotschafter zwischen Afrika und der Bodenseestadt – einen traumatisierten Durchhaltekünstler, dem die Geschichte von Kolonialismus, aber auch des Befreiungskrieges der Kubaner gegen die spanischen Hegemonen zwischen 1895 und 1898 ins Gesicht geschrieben ist.

Während den dunklen Bühnenraum lediglich einige Äste und Zweige bedecken, entsteht die wahre Rückschau aus der Imagination. Immer wieder starrt der Protagonist gebannt in den Zuschauerraum, wo sich die Erinnerungen vor seinem geistigen Auge aufbauen. Sichtlich vom Voodookult inspiriert, lassen schemenhafte Projektionen auf der hinteren Bühnenwand die unstillbaren Geister schlafloser Nächte aufschimmern. Es sind die Dämonen der Vergangenheit: gescheiterte Liebesbeziehungen, ein glückloses Engagement in der sozialistischen Partei und nicht zuletzt die zahllosen Toten im Kampf gegen die ehemaligen Besatzer. Los wird er seine quälenden Erinnerungen und Wiedergänger nicht. Lediglich einen Umgang mit ihnen vermag er zu finden. Und dies in besonderem Maße in der Musik – eine der wenigen, dafür aber stimmigen Akzentuierungen der Aufführung. Wenn der Held etwa wie ein Verrückter auf seinem Bauch zu trommeln beginnt und davon fantasiert, wie kursierende Viren beim Geschlechtsverkehr zwischen weißen Grundbesitzern und dunkelhäutigen Sklavinnen den einen Wirt gänzlich verlassen, um sich im anderen zu entfalten, wird man des Liedes als Exorzismus gewahr. Gesang und Instrumentieren bedeuten Entgrenzung. Gerade deshalb bleibt jene Szene im Gedächtnis, in der Alfa, welcher sich ansonsten so beharrlich in der Aporie seiner Figur wähnt, beginnt, ein Volksstück aus seiner afrikanischen Heimat vorzutragen.

Nicht nur verdrängte Wut scheint sich hier künstlerisch zu entladen. Denn die Darbietung hat auch rituelles Pathos. Die Musik soll die Götter wach machen, ihren Blick auf die Ungerechtigkeit in der Welt, die Gier der Menschen und einen fragwürdigen Fortschritt richten. „El Cimarrón“ dokumentiert damit mehr als nur ein einzelnes Schicksal. Das Drama fächert ein weites Tableau gesellschaftsphilosophischer Überlegungen auf, das so aktuell wie eh und je ist. Es zeigt Sklaverei in ihrer umfassenden, zeitlosen Ausbeutung und offenbart spätestens als mit der Vertreibung der Spanier schon die Amerikaner vor Kubas Türen stehen: Die Hoffnung auf ein freies Kuba gleicht einer Schimäre. Am Ende bleibt ein pessimistischer Held zurück, bar jeder Utopie. Er weiß um den Lauf der Dinge, den selbst alle Mühen nicht aufhalten können.

Mit dem kleinen Werkstattraum hat Wolfgang Mehring ein hervorragendes Arrangement gewählt, um ein Dasein in Enge und Schmerz nachzuzeichnen. Als Regisseur hat er sich hingegen ganz zurückgenommen, vielleicht sogar etwas zu sehr. Was wirken soll, ist allein die Geschichte und ein in Konstanz schon lange beliebter Hauptdarsteller auf der Höhe seines Könnens. Durch ihn erhält der Cimarrón ein Gesicht. Dass auch Alfa über sein Herkunftsland klagt, wo sich nur allzu zaghaft ein Widerstand gegen die korrumpierten Machthaber firmiere, lässt nur eine Verwandtschaft zwischen ihm und seiner Rolle erkennen. Die andere ist seine Unermüdlichkeit, im künstlerischen Medium des Erzählens die Krisen der Zeit zu meistern. //

 

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Cover Recherchen 167
Cover Rampe vol.2
Cover B. K. Tragelehn
Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"

Anzeige