Robin Hood in Moskau
von Anatoli Koroljow
Erschienen in: Arbeitsbuch 2016: Castorf (07/2016)
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Frank Castorf sagte in einem Interview, die Vergangenheit sei uns schutzlos ausgeliefert, alle Helden von Gestern seien tot. Eine Aufgabe des Theaters bestehe deshalb darin, sich für all jene einzusetzen, die sich nicht selbst verteidigen könnten, die Kunst müsse Robin Hood spielen.
Das Interview gab er vor 13 Jahren, im Sommer 2003, als die Berliner Volksbühne mit ihrer Inszenierung des berühmten Romans „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow in Moskau gastierte. Die Aufführung wurde damals von Publikum und Kritik mehrheitlich abgelehnt, viele Zuschauer verschwanden in der Pause; aber zu behaupten, die Inszenierung sei durchgefallen, wäre falsch. Nein, sie löste eher einen Schock aus, provozierte einen Skandal. Selbst jene, die sie „schrecklich“ fanden, mussten zugeben, dass Castorf sein Ziel erreicht hatte: Er hatte die Zuschauer verwirrt. Womit aber verblüffte er das Publikum so?
Der Roman „Der Meister und Margarita“ gilt in Russland als Meisterwerk der sowjetischen Mystik der Stalinzeit und zugleich als Klassiker der antisowjetischen Satire. Darum halten wir uns mehr als jeder beliebige Ausländer für berufen, Bulgakow zu kennen und zu verstehen, und wir sind skeptisch gegenüber jeder Interpretation des Romans, vor allem, wenn sie so provokativ ist wie die von Castorf. Viele haben beispielsweise nicht akzeptieren können,...