Theater der Zeit

Magazin

Immer wieder neu erfunden

Verabschiedung von Frank Bernhardt als Künstlerischer Leiter des Puppentheaters Magdeburg

von Silvia Brendenal

Erschienen in: Theater der Zeit: BRACK IMPERieT – „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo (09/2022)

Assoziationen: Puppen-, Figuren- & Objekttheater Akteure Sachsen-Anhalt Frank Bernhardt Puppentheater Magdeburg

Frank Bernhardt
Frank BernhardtFoto: Anjelika Conrad

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Das Puppentheater Magdeburg lud am 12. Juli zu einem „vergnüglichen/herrlichen/schönen“ Abend ein, an dem Frank Bernhardt, seit 2001 Künstlerischer Leiter des Theaters, verabschiedet wurde.

Vergnüglich war dieser Abend allemal, denn er wurde eröffnet mit einem Gastspiel der deutsch-französischen Compagnie Meschugge, die eine ebenso originelle wie künstlerisch originäre Adaption des Bremer-Stadtmusikanten- Themas zeigte und sich beinahe nahtlos an das Thema des diesjährigen BLICKWECHSEL-Festivals anschloss. „Beste Freunde ein ganzes Jahr“ lautete das Motto des 13. von Frank Bernhardt verantworteten Festivals, das aufgeteilt in drei Zyklen die letzte Spielzeit des scheidenden Künstlerischen Leiters bestimmte. Die Erklärung, warum er dieses Motto wählte, lieferte er, als er sich nach der Vorstellung bei der Compagnie Meschugge bedankte und sich erinnerte: Im Jahr 2000 fand das UNIMA-Weltfestival in Magdeburg statt, und für Frank Bernhardt bot sich während des Festivals in nahezu überwältigender Intensität das breite, genreübergreifende Spektrum der Kunst des Puppenspiels aus aller Welt dar. Unter anderem sah er damals auch Ilka Schönbein und ihre Compagnie Meschugge sowie etliche andere Künstler, später best friends.

In der Publikation „Ensemble in Bewegung – Wie sich das Puppentheater Magdeburg stetig neu erfindet“ beschreibt er, dass sich in ihm, schlagartig die Erkenntnis festsetzte, einer Theaterkunst zu begegnen, die er als „unvorstellbar neu“, tatsächlich innovativ empfand und die seiner Vision von Theater entsprach. Eine Erkenntnis, die folgerichtig mit seinem Magdeburger Theateralltag kollidierte, der noch immer vom Puppentheaterverständnis der DDR geprägt war. Und den galt es zu verändern. Frank Bernhardt, gerade zum Künstlerischen Leiter des Theaters ernannt, ging es an – mit permanent zu reaktivierendem Enthusiasmus, einem gehörigen Maß an Risikobereitschaft und dem unabdingbar notwendigen Vertrauen in die Kraft der eigenen künstlerischen Vision. Unter deutlich erkennbaren Prämissen: Festhalten am Stadttheaterstatus des einst größten Ensemble- Puppentheaters der DDR; Aufbau eines Ensembles junger Künstler:innen, reich an interessanten, kreativen, auch unbequemen Persönlichkeiten; schöpferische Auseinandersetzung mit einer neuen Theatersprache auf der Bühne durch Bindung interessanter Regisseur:innen, Szenograf:innen und Autor: innen ans Haus; Etablierung einer nationalen und internationalen künstlerischen Anerkennung des Theaters. Er drehte am Rad der Geschichte des Puppentheaters der Stadt Magdeburg und schuf in den zwei Jahrzehnten, in denen er ununterbrochen die Funktion des Künstlerischen Leiters innehatte, „einen zentralen Anker des deutschen Figurentheaters – für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ – wie es in der Jurybegründung zur Verleihung des Theaterpreises 2019 heißt.

Anker meint in diesem Falle weitaus mehr als die erfolgreiche künstlerische Arbeit des Ensembles, meint auch den Aufbau eines Museums mit Figurentheatersammlung, die Zusammenarbeit mit der Jugendkunstschule und vor allem: die Durchführung des internationalen Puppentheaterfestivals, das ab 2003 unter dem bezeichnenden Titel BLICKWECHSEL firmierte und sich zu einem bedeutenden, weit über die Grenzen Deutschlands be- und anerkannten entwickelte. Die wohl spannendsten Künstler:innen des Puppenund Objekttheaters gastierten ebenso wie jene aus den Schwesterkünsten, die sich im Spiel mit dem Material erprobten, Genregrenzen überschritten bzw. austesteten.

Legendär inzwischen die Festivaleröffnungen mit La notte, einem grandiosen Open- Air-Spektakel, das sein Publikum jedes Mal verzauberte. Magische Spielstätten entstanden an ungewöhnlichen urbanen Orten, Tausende, Abertausende Besucher kamen. Kunst, Stadt und Publikum verschmolzen für einen Augenblick zu einem theatralischen Universum.

Das machte nicht nur den Festivalleiter glücklich, sondern auch die Kulturpolitiker der Stadt und des Landes, was sich während der Verabschiedung deutlich in den Grußworten von dem Kulturminister des Landes Sachsen-Anhalt, Rainer Robra, und der Bürgermeisterin und Beigeordneten für Kultur der Landeshauptstadt Magdeburg, Regina-Dolores Stieler-Hinz, widerspiegelte. Da fielen Sätze, die weitaus mehr beinhalteten als die gemeinhin übliche respektvolle Anerkennung. Übertroffen allerdings von den Worten, mit denen sich die Künstler:innen an den vertrauensvollen, kunstverständigen Förderer, den kritischen Beobachter, den schöpferischen Wegbegleiter wandten.

In diesem Moment wurde der Abend schön beeindruckend. So sagte Marlis Hirche, Regisseurin und Darstellerin: „Lieber Frank, du lebtest und arbeitetest nach dem Rotkäppchen- Prinzip: ohne Angst vom Weg abweichen, unbekanntes Gebiet betreten, Neues entdecken und trotzdem das Ziel – am Haus der Großmutter anzukommen – nicht aus den Augen verlieren.“ Und Gundula Hoffmann, Leiterin des Puppentheaters Chemnitz, schrieb: „… du hast mit deinem Schaffen die gesamte Puppentheaterlandschaft weitergebracht, Horizonte eröffnet und junge Menschen an ein Haus gebunden, die mittlerweile stilprägend für diese Kunstform geworden sind. Ich hoffe, dass dieses Erbe weitergetragen wird, immer mit Blick nach vorn, aber auch auf die Erfahrungen vertrauend, die ihr in all den Jahren sammeln konntet.“

Und als ganz zum Schluss die Puppenspielerinnen und Puppenspieler des Ensembles für ihren Chef „Paroles, Paroles“ von Dalida und Alain Delon sangen, da zog jene herrliche Melancholie in den Saal ein, die einem solchen Abschied innewohnt. //

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