Manchmal ist der Tanz die bessere Soziologie
von Dirk Baecker
Erschienen in: Recherchen 99: Wozu Theater? (01/2013)
Manchmal ist der Tanz die bessere Soziologie. Denn er kann nicht nur Beobachtungen sozialer Strukturen auf den Punkt bringen, sondern zugleich darauf reflektieren, wer da eigentlich was aus welcher Position beobachtet.
„For Fools rush in where Angels fear to tread“, ist eine Zeile aus einem Gedicht von Alexander Pope,1 dessen zweite Hälfte den Refrain eines Tanzstückes bildet, das VA Wölfls Ensemble „Neuer Tanz“ unter dem Titel REVOLVER im Herbst 2004 in Zürich uraufgeführt hat und das seither in Düsseldorf und Frankfurt am Main zu sehen war. Bei Wölfl wird daraus: „Fools rush in, but I am in love with you.“ Die Engel bleiben ungesagt, können jedoch mitgehört werden und bleiben während des ganzen Stücks das eigentliche Thema, während immer deutlicher wird, dass Liebesgeschichten, Liebessehnsüchte kein Ersatz für sie sind.
Selten wurde die hilflose Wut angesichts des Einmarsches der Amerikaner im Irak überzeugender zum Ausdruck gebracht als durch dieses Tanzstück. Das Publikum schaut in einen gleißend weiß erleuchteten Bühnenraum, der fast zur Gänze von zwei weißen, aufblasbaren Panzern aus Stoff eingenommen wird, deren Rohre auf das Publikum zeigen und von denen einer, schräg auf den anderen gestellt, mithilfe von Luftpumpen zu einem leichten Pulsieren gebracht wird. Vor diesen Panzern feiert...