Markus Gabriel – Realität ist dasjenige, was nicht verschwindet, wenn du ihm die Zustimmung entziehst
von Bernd Stegemann
Erschienen in: Lob des Realismus (05/2015)
Existenz, realistisch gedacht, 2014
„Nennen wir ‚Neurokonstruktivismus‘ die antirealistische Theorie, die behauptet, dass wir niemals Dinge oder Tatsachen an sich wahrnehmen, sondern vielmehr nur dasjenige, was unser Gehirn auf der Basis eines sensorischen Inputs konstruiert. […] Als Evidenz für eine solche Theorie könnte man anführen, dass wir wissen, dass elektrische Impulse, die auf unsere Netzhaut treffen, im Gehirn durch verschiedene Areale übermittelt werden, bis sie schließlich im visuellen Kortex als mentales Umgebungsbild oder subjektives Gesichtsfeld erscheinen. Der Neurokonstruktivismus nimmt dabei an, dass das mentale Umgebungsbild, in dem mir gerade mein Bildschirm sowie allerlei dreidimensionale (bzw. vierdimensionale, d. h. raumzeitliche) bunt eingefärbte Dinge erscheinen, vergleichbar mit einer Landkarte ist. Eine Landkarte erlaubt eine angemessene Orientierung, sie entspricht in diesem Sinne demjenigen, was sie kartografiert. Doch heißt dies nicht, dass die Landschaft an sich so aussieht, wie sie auf der Landkarte erscheint. Das mentale Umgebungsbild existiert genauso wie die Landkarte nur aufgrund des Umstandes, dass wir beide mental konstruiert haben, was dem Neurokonstruktivismus zufolge stets dadurch besser erklärt werden kann, dass wir die Funktion der beteiligten Gehirnvorgänge immer detaillierter verstehen. Nun ergibt sich aber ein Problem, dass alle Elemente der Versuchsanordnung, die für den Neurokonstruktivismus sprechen (Gehirnareale, elektrische Impulse, die substanzielle Differenz...