Früher, als der „Lappen“ vor der Vorstellung tatsächlich noch hochging, war die Zahl der Vorhänge am Ende Gradmesser des Erfolgs. Bei der völlig zu Recht begeistert beklatschten Münchner „Kirschgarten“-Premiere hätte es eigentlich ein geschäftiges Auf und Zu geben müssen. Aber der rote Samtvorgang mit Goldbordüre, den Bühnenbildnerin Katrin Nottrodt nicht vor den Guckkasten, sondern mitten in diesen hineingehängt hatte, ruhte sich nun offenbar aus. Allerdings hatte er sich auch verausgabt im permanenten Hin- und Herfahren
während der Szenen, ohne je deren Anfang oder Ende abzuwarten. Dafür hätte er sich seinerseits Applaus redlich verdient gehabt – als äußerst beweglicher Mitspieler unter anderen außergewöhnlichen Akteuren.
Ilse Ritter spielt die bankrotte Gutsbesitzerin Ranjewskaja, umweht von der Aura der Großschauspielerin aus verklärter Vergangenheit, 72 Jahre alt, aber nach wie vor von flirrender Flatterhaftigkeit. Ihr gegenüber der alte Bühnenhaudegen Peter Brombacher als Kaufmann Lopachin, wie von Selbsthass zerfressen, weil er Ranjewskajas Kirschgarten ersteigert, um ihn abzuholzen und profitable Ferienhäuser zu errichten. Dazu die Entdeckungen des ersten Münchner Jahres von Matthias Lilienthal: Julia Riedler als nölende Ranjewskaja-Tochter Anja und Samouil Stoyanov, der als Diener Firs weder greis noch devot ist, sondern sechzig Jahre jünger als vom Autor vorgesehen und zu Aggressionsschüben neigend. Auch der australische Sänger...