Dramaturgie des Postdramatischen
Alles oder Nichts
Zu Brecht
von Elfriede Jelinek
Erschienen in: Lektionen 1: Dramaturgie (04/2009)
Assoziationen: Dramaturgie Akteure Dossier: Bertolt Brecht Bertolt Brecht
Ich habe mit dem Werk Brechts immer meine Schwierigkeiten gehabt, und zwar wegen eines wie soll ich sagen selbstgewissen Reduktionismus, der seinen Gegenstand, wie einen Dauerlutscher, von allen Seiten her abhobelt, zuschleift, zuspitzt, bis das Gespenst eines Sinns den Mündern der Schauspieler, der die Gedichte Lesenden entschlüpft und dann, unrettbar, verschwindet. Das ist ein Werk, das aus der Gefahr kommt, dem deutschen Nazismus, doch, und das ist groß an Brecht: So wie er seinen Gegenstand entwickelt, ist das keine Gefahr der Existenz schlechthin, die den Menschen von seinem Geschick her gefährdet und die Entbergung (des Menschen wie seiner Hervorbringungen – Kunst!) notwendig wieder zur Gefahr macht, etwa im Heidegger’schen Sinn, sondern diese Gefährdung durch ein Raubund Mordsystem wird in all seinen Ursachenszusammenhängen analysiert und benannt, und dann wird noch mit einem Zeigestock drauf gezeigt, dies ist der Kopf der Gefahr und dort ist ihr Schwanz. Man muß sie immer beim Kopf erwischen, diese Schlange. […]
Keine Mißverständnisse bitte! Und wenn doch, so werden sie ausgeräumt werden. Um dies zu erreichen, läßt Brecht Oppositionen, größtmögliche, gegeneinander antreten, Arm und Reich, Gut und Böse, Dumm und Klug, Bewußt und Unbewußt, etc. Damit er selbst diese Funktionen nicht abschleifen, neutralisieren muß, läßt er...