Theater der Zeit

Thema

Beliebig reproduzierbar

Figurenbauexperimente mit dem 3D-Drucker

Die Puppenspielerin und -bauerin Alice Therese Gottschalk erforscht, wie sich die Arbeit mit dem 3D-Drucker auf den Konzeptions-, Gestaltungs- und Herstellungsprozess von Theaterfiguren auswirken kann – und was die besondere Kunststoff-Materialität für die Rezeption bedeutet. Nachhaltigkeit ist dabei ebenso ein Thema wie Reproduzierbarkeit und die Kombination mit „alten“ Materialien.

von Alice Therese Gottschalk

Erschienen in: double 45: An die Substanz – Material im Figurentheater (04/2022)

Assoziationen: Akteure Puppen-, Figuren- & Objekttheater Dossier: Material im Figurentheater

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Grundsätzlich glaube ich daran, dass in jedem Material, welches ich zur Gestaltung oder als Spielmaterial verwende, eine Geschichte steckt, ein Schicksal, das sich in Form, Aussehen, Geräusch, Bewegungsverhalten, Geruch, Klang manifestiert. Diese Manifestationen lösen in Betrachter*innen Erinnerungen an eigene Materialerfahrungen aus und unterfüttern z. B. eine Materialanimation mit sehr persönlichen Erlebnissen und Emotionen.

Für mich ist dieser Vorgang eine der Stärken unserer Kunstform. Wenn ich also Material für ein Stück auswähle, überlege ich, welche Materialeigenschaften zu den Inhalten passen. Das kann ganz direkt sein: Ich mache ein Stück über das Meer und nehme Muscheln, Sand, altes Holz, Leinenstoffe, die an Segeltuch erinnern, und gestalte daraus meine Bühne und Figuren. Oder ich denke metaphorisch und nehme Materialien, die in ihrer Bewegungsqualität Assoziationen zum Thema Meer hervorrufen, z. B. ein Seidentuch oder eine Folie. Genauso kann ich umgekehrt auch ein Stück aus dem Material heraus entwickeln und untersuchen, welche Geschichte z. B. unterschiedliche Papierarten in sich tragen und wie diese sich wieder über Merkmale wie Form, Bewegung, Farbe, Klang, Geruchzeigen. Wir bewegen das Material, das Material bewegt uns.

Was bedeutet das für mich im Umgang mit „neuen“ Materialien im Zusammenhang mit dem 3D-Druck? Bei „neuen“ Materialien kann es sein, dass das Publikum noch nicht viel Erfahrung mit ihm direkt sammeln konnte, es wird vermutlich bei der Betrachtung auf einen Vergleich mit ähnlichen Materialien zurückgreifen. Also wäre für mich als Gestalterin/Spielerin die Frage interessant, wo hatten die Zuschauer*innen schon Kontakt mit Kunststoffen? Täglich und überall (auch da, wo wir ihn gar nicht haben wollen …). Als vielfältiger, günstiger, leicht formbarer Werkstoff ist Kunststoff aus unserem Alltag schwer wegzudenken. Ergo gibt es bei den Betrachter*innen jede Menge Materialerfahrungen, auf die ich zurückgreifen kann, um zu kommunizieren. Damit eröffnet sich thematisch und spielerisch ein weites Feld.

Und wie sehen für mich die Möglichkeiten im bildnerischen Zusammenhang aus? Wie oben schon erwähnt, ist Kunststoff ein vielfältiger Werkstoff. Das zeigt sich auch in der Vielzahl von Filamenten (das ist das Rohmaterial, mit dem der 3D-Drucker gefüttert wird), es gibt sie in unterschiedlichen Stärken und Farben von durchsichtig bis fluoreszierend, flexibel und spröde, es gibt Holzfilament, das sich wie Holz nachbearbeiten lässt, und Filamente mit Metallanteilen, wenn man besonders stabile Teile braucht.

Wenn ich Kunststoff im 3D-Druck verwende, gestalte ich ihn meistens um, also ich verwende ihn nicht in seiner puren Materialität, sondern lasse Objekte aus ihm formen. Das ist so, als wenn ich aus einem Stück Holz einen Kopf schnitze oder einen Kopf aus irgendeiner Masse modelliere. Die pure Materialität wird durch das Fertigungsverfahren ergänzt. Das daraus resultierende Erscheinungsbild kann ich verstecken, indem ich den Holzkopf oder Kunststoffkopf schleife und lackiere und bemale, so dass sie am Ende gleich aussehen. (Sie werden sich für die Zuschauer*innen vermutlich nicht gleich anfühlen, je nachdem, welche Materialerfahrung sie mitbringen …).

Als Marionettenbauerin nutze ich den 3D-Druck für die Herstellung von technischen Bauteilen (Armgelenke/Beingelenke). Auch diese sind meist bei der fertigen Figur nicht mehr sichtbar. In Bezug auf dieses Einsatzgebiet spielt die Materialität nur für das Gewicht und die Stabilität eine Rolle. Im Gegensatz dazu kann die Technologie auch offen gezeigt werden, denn sie ermöglicht Formen die z. B. durch Schnitzen nicht herstellbar sind. Und ich glaube, das ist ein spannendes Forschungsfeld, welches das Publikum überraschen und die Künstler*innen zu einer neuen Formsprache anregen könnte.

Auch im Entwicklungsprozess, also von der Zeichnung angefangen, liegen spannende Potenziale: Bevor ich etwas ausdrucken kann, brauche ich eine technische Zeichnung in digitaler Form. Die Rechenkraft eines iPads genügt, um komplexe Körper mit dem iPen zu zeichnen – eine Bewegung, die sehr nahe am analogen Entwerfen liegt. Dazu kommen noch „Tools“, die zum Beispiel Programme wie „Shapr3D“ bieten, um Formen zu erschaffen/modellieren.

Wenn einmal die Zeichnung vorhanden ist, kann sie problemlos in der Größe verändert werden. Das heißt, wenn ich im Probenprozess feststelle, der Kopf ist zu klein, kann ich ihn anpassen und über Nacht erneut ausdrucken. Jedes Teil ist beliebig reproduzierbar.

Natürlich beschäftigt mich der Aspekt der Nachhaltigkeit. Auch wenn z. B. das PLA-Filament aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen wird, handelt es sich um Kunststoff, der ewig braucht, bis er verrottet. Jeder Fehldruck ist Müll, da die Systeme der Wiederaufbereitung für den Heimgebrauch noch zu teuer sind. (Es gibt kleine Maschinen, die sortenreinen Filamentmüll zu Granulat schreddern und dann wieder zu neuem Filament extrudieren können – für 10.000 EUR …)

Anfang letzten Jahres hatte ich die Chance, mich im Rahmen eines Forschungsprojekts des #TakeCare Programms des Fonds Darstellende Künste mit der Verbindung von Marionetten und Robotik zu beschäftigen. Sämtliche Roboterteile meiner Hybrid-Marionetten habe ich am iPad entworfen und am Drucker ausgedruckt. Da ich mich mit der Entwicklung von Hybriden beschäftigt habe, habe ich auch die Materialien vermischt, hier fand ich es spannend, natürliche Stoffe auf die synthetisch hergestellten Materialien treffen zu lassen.

Nach diesem Projekt kann ich für mich sagen, dass für die Herstellung rein technischer Bauteile der 3D-Druck eine hilfreiche Erleichterung ist, er ermöglicht präzise Bauteile in kurzer Zeit. Das ästhetische Potential der Technologie und des Werkstoffs ist für mich noch nicht zu Ende erforscht und ich bin weiter dabei zu experimentieren. In Bezug auf seinen spielerischen Ausdruck ergibt sich für mich die gleiche Fragestellung, wie bei allen anderen Materialien, die ich auf der Bühne verwende: Welche Zustände, Bilder, Assoziationen können damit erzählt/gezeigt werden oder welche Geschichten/Themen brauchen 3D-Druck-Ästhetik und eine Kunststoffmaterialität?

www.fabtheater.de

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