Auftritt
Burgtheater Wien: So Klaus!
„Oh no, not again!“ von Aslı Kışlal & Ensemble – Regie Aslı Kışlal, Bühne Birgit Kellner, Kostüme Nadine Abena Cobbina, Musik Uwe Felchle
Assoziationen: Theaterkritiken Österreich Aslı Kışlal Burgtheater Wien
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Sie sind das Burgtheater-Ensemble. Zu viert stehen sie auf der lang gezogenen Bühne im neu renovierten Burgtheater-Kasino, umgeben von glitzerndem Lametta, Karteikarten in der Hand. Sie würden alle Klaus-Maria oder Klaus und Maria heißen, sagen sie. Sie präsentierten ein neues Format, ein Community-Projekt, das die Frage behandeln soll, wer auf der Bühne steht und wer im Publikum sitzt. Dafür hätten sie Expert:innen gebraucht: jene da drüben, wie mit einem Fingerzeig auf zwei Personen im Eck hingewiesen wird. Und damit beginnt das Stück, das sogleich in den Diskurs einsteigt.
Aslı Kışlal hat zusammen mit vier Burgtheater-Schauspieler:innen (Paul Basonga, Sabine Haupt, Daniel Jesch, Dunja Sowinetz) und sogenannten Expert:innen des Alltags (Nadine Abena Cobbina, Luna Al-Mousli, Hakan Çepelli, Zeynep Salkök) den Abend „Oh no, not again!“ entwickelt. Gemeinsam mit diesem achtköpfigen Ensemble untersucht Kışlal den Rassismus da, wo viele ihn nicht erwarten: in progressiven Räumen, konkret in dieser Inszenierung am Burgtheater selbst. Was will das Theater wirklich mit „Community-Arbeit“ bezwecken? Und sind die Bestrebungen nach einer diversen Kulturproduktion oft vor allem nur gut gemeint und nicht selten per se schon rassistisch?
Kışlal ist Schauspielerin, Regisseurin, Dramaturgin und designierte Leiterin des Theater der Jugend in Wien, einer großen Bühne für junges Publikum. 2013 gründete Kışlal das Performance- und Theaterlabor diverCitylab, mit dem Zweck, neue Theatermacher:innen zu fördern, die in ihrer Diversität und in ihren Themen unsere Gesellschaft abbilden.
In der satirischen Stückentwicklung „Oh no, not again!“ gibt es ein „Wir“ und ein „Ihr“. Es gibt die professionellen Schauspieler:innen und die nicht-professionellen Schauspieler:innen auf der Bühne. Es gibt ein Publikum, dass diese Räume immer schon betreten hat und ein Publikum, das neu ist. So zumindest die Behauptung. Mit diesem neuen Publikum fremdle er noch, bekennt Klaus Maria, der Prototyp des Burg-Schauspielers, „seit 26 Jahren am Haus“! Da wisse er nicht, wann es ärgerlich huste oder das Handy raushole. Und dann fordert er dazu auf, dem Neuen im Publikum zu applaudieren. Denn das Theater wolle sich ja für Menschen öffnen.
Das Ensemble spielt geschickt mit diesen Zuschreibungen und schafft so eine bewusste Verunsicherung im Saal. Wer sind „das Wir“ und wer sind „sie“? Die Inszenierung verschiebt die Grenzen so lange, bis man als Zuschauer:in nicht mehr sicher ist, welchem Lager man selbst zugerechnet wird.
Und da sind sie dann auch, die Menschen. Als Expert:innen treten sie zunächst zu dritt auf die Bühne: der Burgerbrater (Hakan Çepelli), die Kostüm-Designerin (Nadine Abena Cobbina) und die ehemalige Pflegefachkraft (Zeynep Salkök). Klaus Maria kann sich ihre Namen nicht merken – war es nun Aishe oder Zeynep? – und auch sonst tappt der Burg-Schauspieler in ungefähr jede Falle des weißen Privilegierten. Und das, obwohl er sich dabei ständig selbst infrage stellt: „Wann bin ich bloß so geworden? So alt? So cis? So weiß? So Klaus?“
So weit, so spannend, nur leider bleibt der Abend auf der Diskursebene stecken und kommt selten über Allgemeinplätze hinaus. An vielen Stellen fehlt es auch an einem dramaturgischen Bogen. Sobald nicht mehr das Theater selbst im Zentrum der Betrachtungen steht, geht es schnell um alles und nichts: die Zusammenhänge von Kolonialismus und Nachhaltigkeit werden erwähnt, unbezahlte Care-Arbeit und die Frage, wer überhaupt wählen darf. Wovon „Oh no, not again!“ ganz konkret erzählen will, wird bis zum Schluss nicht ganz klar.
Auch szenisch passiert überaus wenig: Während die Spieler:innen im ironischen Ton rassistische Strukturen im Kulturbetrieb offenlegen und diese vor allem ans Publikum gerichtet referieren, betrinkt sich Dunja Sowinetz als Sponsorin und großzügige Spenderin von Chipstüten, Jeans und „last but not least“ ihrem Hochzeitskleid im abgesperrten V.I.P.-Bereich, denn „Helfen ist unsere Kultur“! Sie schlürft Sekt, isst Oliven von Zahnstochern und wird politisch immer unkorrekter: „Bist du Mohamedamer oder wie sagt man da? Islamist?“, ruft sie etwa dem gebürtigen Türken Hakan Çepelli übertrieben besoffen zu.
Sabine Haupt probiert der Reihe nach Ethno-Kleider an: Pluderhose, Kaftan, Lederjacke mit Fransen: Ausgemusterte Kostüme, die so auf keiner Burgtheater-Bühne mehr zu sehen wären, weil man ihnen kulturelle Aneignung vorwerfen würde. Verhandelt wird das im Stück allerdings nicht. Schade, denn darin läge viel Potenzial, um über veränderte Blickwinkel an Theaterhäusern zu sprechen.
Die schärfste und wohl bitterste Pointe von „Oh no, not again!“ liefert die Geschichte des Burgerbraters. Er sei eigentlich Schauspieler und habe sich nur als Arbeiter verkauft, um endlich auf der Bühne des Burgtheaters spielen zu dürfen. Sein großer Wunsch sei es, einmal den Cyrano zu geben. Dass er dann aber nur als Community-Mitglied auftreten darf und nicht als Schauspieler, bringt die Paradoxie der Bestrebungen des Kunstbetriebs sehr deutlich auf den Punkt.
Erschienen am 2.12.2025



















