Theater der Zeit

Magazin

Fun ist ein Spaßbad

Das Berliner Festival Tanz im August zwischen spaßiger Tiefe und ernster Leichtigkeit

von Sophie Helena Hübner

Erschienen in: Theater der Zeit: Götterdämmerung – Polen und der Kampf um die Theater (10/2017)

Assoziationen: Tanz Berlin Akteure

Anzeige

Anzeige

„We are not here to have fun, right?“ Wenn Cristiana Morganti in ihrem Selbstporträt „Jessica and me“ von ihrem Werdegang als Tänzerin erzählt – von abgebundenen Brüsten für das Ballettkostüm, wie sie damals wie heute mit normativen Körperbildern konfrontiert ist, wie sie schließlich als Solistin in Pina Bauschs Tanztheater Wuppertal aufgenommen wurde, inwiefern diese 22 Jahre mit der Tanzikone sie geprägt haben, wie sie aber nun mit altersbedingten körperlichen Einschränkungen umzugehen lernen muss –, dann spricht sie charmant und mit viel Humor Themen an, die auf einem Tanzfestival zwar als Subtext häufig mitverhandelt werden, jedoch selten auf einer Bühne Gehör finden. „Das kennen wir doch alles schon“, „Die Choreografie hast du geklaut“, „Oh Gott, wie komme ich da bloß wieder hoch?“, kommentiert ihre Off-Stimme ihre Bewegungen. „Do you want me to talk or do you want me to dance?“, fragt sie ins Publikum und reflektiert damit nicht nur ihre Inszenierung, sondern auch eine bestehende Erwartungshaltung. Ohne Scheu vor selbstironischer Übertreibung und dem Spiel mit Verdopplung ist es gerade der Humor, der jener Inszenierung eine Leichtigkeit verleiht, die in vielen anderen Inszenierungen des 29. internationalen Festivals Tanz im August vom 11. August bis zum 2. September in Berlin, präsentiert vom HAU Hebbel am Ufer, nicht zu spüren war. In dem von Virve Sutinen, künstlerische Leiterin seit 2014, kuratierten Programm überwogen in diesem Jahr Arbeiten, die Gender-Thematiken, Sexualität und den Status des Körpers, die eigene Herkunft und politische Konflikte verhandelten und auffällig oft mit derartig viel Pathos und Dringlichkeit den politischen Anspruch der Inszenierung zu verdeutlichen versuchten, dass man tendenziell eher tiefer in den Stuhl zurücksank und schwerfällig den Theatersaal verließ.

Ausschließlich um „FUN!“ geht es allerdings in Lea Moros gleichnamiger Inszenierung, in der sie gemeinsam mit vier weiteren Performern und einer Musikerin das subversive Potenzial von Spaß und die Möglichkeiten seiner Herstellung untersucht. Auf einer farblosen Bühne, die durch eine Diagonale in einen schwarzen und einen weißen Bereich geteilt ist, hüpfen und springen die fünf Performenden in weißen Kostümen und großen geometrischen Gebilden aus Pappe auf dem Kopf über kubische Podeste mit angebrachten Rampen und durch den Zuschauerraum. Es wird über den Boden gerollt und die Bühnenelemente heruntergerutscht, es wird mehrstimmig ein Geburtstagslied gesungen und eine Konfettikanone abgeschossen, es werden flache Witze erzählt, sich Partyhütchen aufgesetzt, ein Popsong erklingt. Es wird sich Bildern und Motiven aus der Populär- und Alltagskultur bedient, die in einem allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis als „spaßig“ gedeutet werden können, und zu einer Collage zusammengeführt. „FUN!“ arbeitet dabei mit der Abstraktion und einer sich verändernden Geschwindigkeit einzelner Bewegungen, sodass diese ihren witzigen Effekt verlieren. Manche Elemente sind jedoch auch so plakativ, zum Beispiel als einer der Performer einen Flachwitz erzählt, dass man geradezu gedrängt wird, sich zu fragen: „Is she serious about that?“ Dieser Irritationsmoment, diese Ambivalenz – vor allem wenn man fünfzehn Minuten später von der Sitznachbarin, die noch immer über den Witz lacht, tatsächlich angesteckt wird – geben dann Anlass, sich mit seinem eigenen Verständnis von Spaß und Unterhaltung näher auseinanderzusetzen.

Wer sich der sonst doch sehr düsteren Atmosphäre vieler Inszenierungen entziehen wollte, konnte in den Bus steigen und einen Ausflug zum Vierfelderhof machen, einem Kinder- und Familienbauernhof im ländlichen Randbezirk Gatow im Südwesten Berlins. Auf einem großen Feld stehend, ein weißer Zaun aus Kreuzen vor uns, im Hintergrund Wald und ein Kirchturm, konnte man seinen Blick in Rudi van der Merwes Outdoor-Performance „Trophée“ über weites Grün schweifen lassen, während sich langsam, anfangs am Horizont kaum zu erkennen, drei Gestalten in üppigen Barrockkleidern nähern, deren schwarzgoldene Oberteile im Licht der Sonne glänzen und funkeln wie Rüstungen. Wir werden Zeugen eines Eroberungsstreifzugs, der von den rhythmischen Klängen einer Perkussionistin begleitet wird und an dessen Ende anstatt des Zauns ein Friedhof mit namenlosen Gräbern zurückgelassen wird. Die Tiefe des offenen Raums ausnutzend und mit wenigen, aber präzise ausgearbeiteten Elementen thematisiert van der Merwe militärische Traditionen und das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt. So dienen die Kreuze mal als Gewehr oder Schwert, mal als Grab, an dem getrauert oder auf dem getanzt wird, und mal als Kriegstrophäe. „Trophée“ fesselt vor allem aufgrund der Langsamkeit und Präzision. Denn Tiefe bedeutet hier auch Dauer. Und während die drei Figuren nach errungenem Sieg wieder langsam zurück zum Anfang gehen und am Horizont verschwinden, lässt diese Zeitlichkeit es zu, auch nur dem Tanz der Wolkenschatten auf der Wiese zuzuschauen und vielleicht darin etwas Leichtigkeit zu finden. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Theater unser"
"Pledge and Play"