Ich sitze in einem mittelgroßen Theater und sehe die Neuinterpretation eines Klassikers, „Antigone“, in der Inszenierung einer etablierten Regie. Ausverkauftes Haus, das Publikum meist im Alter meiner Eltern oder Großeltern. Tolle Spieler:innen auf der Bühne, die alles geben. Schwere Sätze über sechs Zeilen hören sich bei ihnen an wie „Hallo, Tschüss, wie geht´s dir?“, das Regiekonzept ist klar zu erkennen. Zwei Stunden vergehen, Held:innen sterben, existenzielle Emotionen werden spürbar, am Ende zu Recht großer Applaus. Aber ich merke, dass mich nichts in diesen zwei Stunden wirklich berührt hat. Es gab keine Katharsis, keine Läuterung, und ich denke, dass liegt nicht daran, dass hier irgendwer etwas falsch gemacht hat. Aber woran dann?
Theater ist ein Ort der greifbaren Identifikation mit etwas, der Ort, an dem Lebensrealitäten eine künstlerische Übersetzung bekommen, sodass sie für mich erlebbar werden. Dabei gilt nach meiner Beobachtung, je entfernter die Lebensrealität von meiner eigenen ist, desto mehr muss die Übersetzung leisten, damit sie spürbar für mich wird.
Antigones Kampf, ihrem Bruder die letzte Ehre erweisen zu dürfen, Kreons unmenschlicher Entschluss, sie dafür zum Tode zu verurteilen, oder der Umstand, dass sie bei lebendigem Leibe begraben wird – alles grausame Dinge und trotzdem ungreifbar für mich. Nichts davon...