Die digitale Masse
NPC, soziale Chiffre und Autonomiebestrebung
von Robin Klengel und Leonhard Müllner
Erschienen in: Recherchen 171: Nebenfiguren (11/2024)
Assoziationen: Wissenschaft Dossier: Digitales Theater
Einleitung
2023 wurde der Begriff »NPC« (für Non-Player-Character oder seltener Non-Playable-Character) von Langenscheidt in die Endauswahl zum »Jugendwort des Jahres« aufgenommen. Zwei Jahre zuvor brachte Disney mit Free Guy den ersten Blockbuster in die Kinos, in dem das Leben eines digitalen Statisten im Zentrum steht – und landete damit einen der größten Filmerfolge des Jahres 2021. NPCs werden nicht nur in Form von TikTok-Trends kulturell und choreografisch verarbeitet; sie inspirieren auch große Serienproduktionen, werden in Comics und YouTube-Filmen thematisiert und finden als gesellschaftliche Metapher in unterschiedlichen Kontexten alltagskulturelle Anwendung und Vereinnahmung. Auch im deutschsprachigen Common Sense kann heute kaum mehr angezweifelt werden, dass die Figur des NPC die Grenzen seines ersten digitalen Habitats endgültig hinter sich gelassen und auch innerhalb anderer Medien ein Eigenleben entwickelt hat.
In seinem Herkunftsmedium, dem Videospiel, zeichnet sich der NPC dadurch aus, dass er eben nicht – oder jedenfalls nicht direkt – von den Spielenden, sondern vom Algorithmus des Spiels kontrolliert wird. Als Teil des Environments nehmen NPCs meist die Nebenrollen in der Geschichte ein, oftmals erfüllen sie als dekorative Figuren vorrangig eine atmosphärische Funktion. »Ambient Human Presence«1 nennt sie der Videokünstler Alan Butler. Schließlich ist es eine ihrer Hauptaufgaben, eine leblose Spielwelt...