Auftritt
Théâtre Vidy-Lausanne: Diversity sells
„SPAfrica“ von Julian Hetzel and Ntando Cele – Regie Julian Hetzel, Performance Ntando Cele, Dramaturgie Miguel Angel Melgares, Musik & Komposition Frank Wienk, Lichtdesign Nico de Rooij
von Theresa Schütz
Assoziationen: Theaterkritiken Schweiz Afrika Dossier: Klimawandel Ntando Cele Julian Hetzel Théâtre Vidy-Lausanne

Die Uraufführung von „SPAfrica“ von Julian Hetzel und Ntando Cele am Théâtre Vidy im schweizerischen Lausanne beginnt zunächst mit einer formalen Irritation. Einige Zuschauer:innen verlassen direkt wieder den Saal. Das Bühnen-Setting entspricht dem eines (Fake-)Artist Talks: Kunsthistoriker Matthieu Jaccard sitzt – so scheint es – mit Julian Hetzel beisammen, um ihn zu seiner neuen Produktion zu befragen. Viele weitere Irritationen folgen. Denn es gehört zu den Arbeiten des schwerpunktmäßig in den Niederlanden produzierenden Performancemachers Julian Hetzel ebenso wie zu jenen der in Südafrika geborenen und in der Schweiz lebenden Ntando Cele, dass sie Zuschauer:innen in einen Strudel höchst ambivalenter Empfindungen und disparater Emotionen hineinziehen.
„SPAfrica“ ist im Grunde ein Zwei-in-eins-Projekt: Den Zuschauer:innen der Uraufführung wird einerseits diskursiv und z.T. (foto-)dokumentarisch das konzeptuelle Kunstprojekt „SPAfrica“ vorgestellt. Andererseits erleben sie eine Performance, die sich mit historisch gewachsenen und sich bis heute beständig reproduzierenden diskriminierenden Repräsentationsverhältnissen von Schwarzen Menschen im kolonial geprägten europäischen Theaterkontext auseinandersetzt.
Der konzeptuelle Teil schließt an Hetzels Produktion „Schuldfabrik“ (2016) an: Wieder stehen die komplexen neokolonialen Ökonomien im Fokus, über die Europa und (unter anderem) afrikanische Staaten miteinander verwoben sind. Wieder greift die Kunst über den Theaterraum in die Realität hinein. War es in der Installation „Schuldfabrik“ eine reale Seife, die aus dem Wohlstandsfett weißer Europäer:innen gefertigt wurde und unter dem Namen „Self“ im Fake-Pop-up-Store verkauft wurde, um vom finanziellen Erlös ein Brunnenbau-Projekt im Kongo zu finanzieren (und sich damit gleichsam im mehrfachen Sinne „reinzuwaschen“), steht bei „SPAfrica“ ein besonderes Wellness-Wasser im Zentrum.
Wie wir erfahren – und auch in Plastik-Schnapsgläsern verkosten dürfen –, handelt es sich bei SPAfrica um importiertes, gefiltertes Wasser aus einem Brunnen in Kapstadt, das uns hier als Luxusprodukt angepriesen wird. Im Gegenzug erhalte die südafrikanische Stadt Tränen, die durch eine Apparatur in Form von Regen ausgegeben werden sollen. (Dieser installative Teil ist für Ende des Jahres in Kooperation mit dem Kunstort Lerotholi in Kapstadt geplant). Die gesammelten bzw. noch zu sammelnden Tränen, für die eigens ein Tränenfänger aus Plastik entwickelt wurde, stehen dabei für die materialisierte Empathie privilegierter, mehrheitlich weißer Europäer:innen mit der südafrikanischen Bevölkerung (insbesondere in den Townships).
Um auf den von Großkonzernen wie z.B. Nestlé betriebenen (Neo-)Extraktivismus – vor allem mit Blick auf die überlebenswichtige Ressource Wasser – hinzuweisen, analogisieren Hetzel und sein Team den Zynismus und die neokoloniale Gewalt unternehmerischer Ausbeutungsrealität mit der Idee, einer natürlichen Ressource eine emotionale Ressource als vermeintliches Äquivalent gegenüberzustellen. Hier schließt das Projekt an Debatten um die machterhaltenden „dunklen Seiten der Empathie“ (Fritz Breithaupt) sowie die Spektakularisierung von Bildern des Leid(en)s Anderer an. Formal übersetzt sich dies in einer exzessiven Verwendung von Close-up-Portraits, die auf die Rückwand des weißen Tanzbodens, der wie zu einer Halfpipe aufgespannt ist, projiziert werden.
Als wäre dieses künstlerische Konzeptkonstrukt hinsichtlich seiner verschachtelten Kritikformen nicht schon komplex genug, geht „SPAfrica“ noch einen Schritt weiter, indem es das klassische Aufführungsformat nutzt, um über Extraktivmus in der Kunst nachzudenken. (Neo-)Extraktivismus bezeichnet den Abbau, oder wörtlich „das Herausziehen“, von natürlichen Ressourcen aus den Böden von Ländern des Globalen Südens durch Unternehmen aus dem Globalen Norden zum Zwecke kapitalistischer Akkumulation. Thematisch wird im zweiten Teil nun die Frage, ob die Performance „SPAfrica“ in einer ähnlichen Logik operiert. Was oder wer wird hier ausgebeutet? Und: Was meint Extraktivismus in der Kunst?
Hierfür reenacted Ntando Cele in Zebra-Look eine Reihe von Repräsentationsweisen des „Anderen“, rassistische Stereotype, in deren Verkörperungen sie als Schwarze Künstlerin in der hiesigen weißen Theaterlandschaft stets entweder hineingepresst wurde oder sich zu verhalten musste – wie letztlich in „SPAfrica“ auch wieder. Die ausgestellte Andersheit beginnt mit einer Passage, die sie auf Zulu spricht, setzt sich in animalischen (Hunde-)Gebärden, einer sexy Hip-Hop-Nummer, einem Akt des Selbst-Ohrfeigens fort und landet tatsächlich beim Erzählen rassistischer Witze (immerhin unter Vermeidung des N*-Wortes). Zwischendurch wird eine Zuschauerin eingeladen, on stage zu weinen, um ein paar Tränen für das Projekt zu sammeln. Das alles ist zum Teil schwer zu ertragen und funktioniert trotzdem. Weil es die These von „SPAfrica“ performativ belegt: es sind immer noch und immer wieder gerade die Körper der ‚Anderen‘, die mit ihren Geschichten, ihren Traumata und ihrer Verletzlichkeit ausgebeutet werden. Denn let’s be honest: Diversity sells. Oder bringt Fördermittel, ohne an der Struktur wirklich etwas zu verändern.
Wenngleich diskutiert werden kann, warum Ntando Cele sich diesen schmerzhaften Prozessen durch ihre Reproduktion abermals aussetzen muss, wird an diesem Abend doch auch die immense Wut am „White lies matter“-System und Celes allzu häufiger Token-Funktion darin spürbar. Dabei endet dieser kluge, komplexe, irritierende und zugleich auch extrem unterhaltsame und humorvolle Theaterabend, darum wissend selbst Teil des kritisierten Systems zu sein, fast hilflos und zugleich konsequent mit der leeren Einladungsgeste des Moderators, sich in der Bar zu einem Apéro zusammenzufinden.
Erschienen am 22.5.2023