Sonntagabend. Totensonntag. Das Internet scheint etwas instabil, zu viele Leute gucken im Homeoffice „Tatort“. Das Theater an der Ruhr hat sich etwas Besonderes einfallen lassen: die Adaption eines Lars-von-Trier-Films als Livestream, gefilmt mit vier Kameras. Titel: „Europa oder die Träume des Dritten Reichs“. Der Monitor zeigt einen größeren Screen und drei kleinere. Unten links sieht man die Maskenbildnerei. Unten rechts kocht der Schauspieler Rupert J. Seidl Kartoffeln. Es gibt Gnocchi mit Trüffeln, aber das stellt sich erst nach und nach heraus. Auch die Zubereitung einer Mahlzeit unterliegt einer ausgefeilten Spannungsdramaturgie.
„Europa“ ist ein Werk des jungen Lars von Trier aus dem Jahr 1991. Es spielt 1945 in Deutschland, in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Der Deutschamerikaner Leopold Kessler kommt in das zerbombte Land, um auf Vermittlung seines Onkels Schlafwagenschaffner zu werden. Es handelt sich erkennbar um eine Umkehrung der Situation aus Franz Kafkas „Amerika“-Roman: Vielleicht hat ja auch Kessler daheim in Virginia oder wo auch immer ein Dienstmädchen geschwängert. Albert Bork stattet den Protagonisten jedenfalls durchaus mit kafkaesken Zügen aus, einfältig und widerborstig zugleich. Aber vor allem einfältig. Er verliebt sich in die Tochter des Eisenbahn-Magnaten Hartmann, die sich später, gespielt von Dagmar Geppert, als Werwolf entpuppt. Kessler gerät zwischen die Fronten...