Look Out
Tanne, nadellos
Nina Gummich spielt ohne Rückhalt – erschütternd traurig und komisch zugleich
von Lena Schneider
Erschienen in: Theater der Zeit: Wie es euch gefällt – Christian Friedel vertont Shakespeare (12/2016)
Assoziationen: Hans Otto Theater
Nina Gummich ist gerade 25 Jahre alt und auf gewisse Weise schon eine alte Häsin. Sie hat seit dem vergangenen Jahr ein Engagement am Hans Otto Theater in Potsdam – und hat bereits in 25 Filmen mitgewirkt. Den ersten drehte sie, als sie acht Jahre alt war. Ein Film, in dem eigentlich ihr Stiefvater, der Schauspieler Hendrik Duryn, mitspielen wollte und sie testweise mit zu den Proben nahm – nur dass er seine Rolle dann nicht bekam. Sie die ihre schon. Bitter? Nein, denn inzwischen weiß sie aus eigener Erfahrung: Manchmal bekommt man eine Rolle, manchmal eben nicht. So ist das.
Obwohl man eher glauben möchte, dass Nina Gummich zu denen gehört, die eine Rolle auch bekommen, wenn sie sie unbedingt wollen. Ist das so? Die Frage bringt sie zum Lachen: Ja!, will sie da eigentlich sagen. Und entscheidet sich doch für Nein. Wahrscheinlich stimmen beide Antworten, und keine wirkt bei Nina Gummich eitel. Hierin zeigt sich dieses Doppelbödige, das auch ihre ungemein geerdete, ungebändigte, unterschwellig oft erschütternd tragikomische Bühnenpräsenz so reizvoll macht: Da spricht einerseits eine, die stark an sich glaubt, die von sich sagt: Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass mich jemand nicht besetzt, wenn ich eine Rolle unbedingt spielen will. Ein bisschen so wie das Mädchen in der „Wiedervereinigung der beiden Koreas“ von Joël Pommerat (Regie Stefan Otteni), das auf die Hochzeit der Schwester kommt und voller Überzeugung sagt: Dein künftiger Mann liebt nur mich. Der leugnet zwar alles, aber das von Nina Gummich gespielte Mädchen lässt sich nicht beirren.
Das ist die eine Nina Gummich. Die andere ist jene, die viel gibt, manchmal zu viel, die sich auf der Bühne wie im Leben stark aussetzt – auch potenzieller Ablehnung. Ein bisschen so wie die Annie im gleichen Stück von Pommerat. Annie ist geistig behindert, schwanger und möchte das Kind unbedingt behalten – obwohl die Betreuer ihr abraten. Aber Annie wird es, das Kind ihrer Liebe, behalten. Annie ist Nina Gummich sehr nah. „Ich glaube an die Liebe“, sagt sie und findet es nicht schlimm, dass das irgendwie blöd klingt. Diese Nina Gummich ist sehr verletzlich, hat eine dünne Haut. Sie kennt ihre Wirkung, das hat die Arbeit mit der Kamera sie gelehrt. Und doch pendelt sie in der Theaterarbeit immer wieder zwischen diesen beiden Polen – dem Gefühl des Alles-Könnens und der ewigen Angst: „Ich kann gar nichts, hoffentlich merkt das keiner“.
Auch die Nähe zum Theater war früh da, Nina Gummich ist familiär doppelt vorbelastet. Die Mutter ist Dozentin an der Theaterhochschule in Leipzig. Dort studierte ab 2001 auch die Tochter. Die Filmerfahrene musste lernen, sich zurückzunehmen, und viele Dinge erst einmal wieder verlernen. Schnell wurde das Staatsschauspiel Dresden auf sie aufmerksam, wo sie für zwei Jahre zum Schauspielstudio gehörte – und den „Bürgerclub der Verrückten“ gründete. Beides, die Bürgernähe und die Frage, was das ist: Verrücktsein, hat sie mit nach Potsdam gebracht. Als das Potsdamer Theater Schauspielworkshops für Flüchtlinge anbot, war sie sofort dabei – und freut sich „wie eine Mama“, dass einige der Beteiligten jetzt selbst Erfolg haben. Und als lebensverliebte, vom Leben und sich selbst gehetzte Isa in Wolfgang Herrndorfs „Bilder einer großen Liebe“ (Regie Tobias Wellemeyer) verwischte sie Trennlinien zwischen normal und wahnsinnig, zwischen Innen- und Außenwelt – ein ungemeiner Publikumserfolg.
Für diesen Moment, den Applaus, das Geliebtwerden, lohnt es sich zu spielen, sagt sie. Was im Gummich-Sound so klingt: „Wir Schauspieler haben eindeutig nicht alle Nadeln in der Tanne.“ //
„Bilder deiner großen Liebe“ mit Nina Gummich ist wieder am 17. Dezember 2016, „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ am 28. Dezember 2016 am Hans Otto Theater Potsdam zu sehen.