Wertschätzen
von Anton Bröll
Erschienen in: Lektionen 8: Neue Dramatik (10/2025)
Von den literarischen Großgattungen erfährt derzeit keine so wenig Aufmerksamkeit und Wertschätzung wie die Dramatik. In der Einleitung des vorliegenden Bandes kommt Anne Fleig deshalb zu der zugespitzten Einschätzung: „Dramen liest, glaube ich, niemand.“ (→ Einleitung). Innerhalb der Gegenwartsliteratur steht die Dramatik besonders im Vergleich zu Erzähltexten sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch im wissenschaftlichen Diskurs im Abseits. So wird mit dem Begriff ‚Gegenwartsliteratur‘ häufig ausschließlich auf neuere Erzähltexte Bezug genommen, während Lyrik und Dramatik ausgegrenzt und abgewertet werden.1 Diese eingeschränkte Begriffsverwendung zeigt sich beispielsweise in Michael Brauns Einführung Die deutsche Gegenwartsliteratur (2010), in der Dramatik – anders als Erzähltexte, Lyrik sowie der Bereich Literatur und Film – von vornherein ausgeklammert wird.2 Ein Blick in eine herkömmliche Buchhandlung veranschaulicht diese Tendenz: Romane dominieren die Regale, es gibt eine kleine Lyrik-Ecke, Gegenwartsdramatik hingegen sucht man vergeblich. Für eine geringere Aufmerksamkeit sorgt auch der öffentliche Fokus auf das Buchformat, da viele zeitgenössische Dramen derzeit ausschließlich als PDFs, zum Teil mit begrenztem Zugriff, erscheinen (→ Finden/Betrachten).3 Veröffentlichungen in Fachzeitschriften wie Theater heute oder Theater der Zeit sowie neu entstandene Verlagsreihen bei Reclam und Suhrkamp, die sich speziell der Gegenwartsdramatik widmen, erhöhen jedoch unter diesen Bedingungen...