Theater der Zeit

Magazin

Schweig – und schaffe!

Das Go West Festival am Staatstheater Oldenburg geht in die vorerst letzte Runde

von Andreas Schnell

Erschienen in: Theater der Zeit: Für eine kurze, lange Minute – Die Schauspielerin Valery Tscheplanowa (05/2014)

Assoziationen: Theaterkritiken Niedersachsen Oldenburgisches Staatstheater

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Es lag so nahe – nicht nur, aber auch geografisch: ein Festival, das Theater aus den Niederlanden und Flandern für das deutsche Publikum sichtet und präsentiert: Go West leistete das in den vergangenen Jahren für das Theaterpublikum in Oldenburg und dem Nordwesten. Mit der vierten Ausgabe des Festivals, die vom 6. bis zum 9. März 2014 stattfand, endet ein Abschnitt der Festivalgeschichte: Intendant Markus Müller verlässt das Oldenburger Staatstheater und nimmt auch Chefdramaturg und Go-West-Kurator Jörg Vorhaben mit nach Mainz. Vorhaben will dort die Arbeit mit Regisseuren und Choreografen aus den Niederlanden und Flandern fortsetzen. „Wie weit diese Arbeit dann in ei- nem Festivalformat gebündelt wird, ist noch offen“, sagt Vorhaben, auf die Zukunft von Go West angesprochen.

Das vorläufige Finale des Festivals wartete u. a. mit einer Uraufführung auf, die die Puppenspielerin Ulrike Quade und der Oldenburger Hausautor Marc Becker ersonnen haben: „Munch und Van Gogh – Der Schrei der Sonnenblume“ lässt die beiden Malergrößen als Klone ihrer selbst in einer bizarren Talkshow aufeinandertreffen und erzählt etwas holzschnittartig von ignoranten Sammlern und rebellischen Bohemiens, wobei Quade und die holländische Schauspielerin Cat Smits mit einer Handvoll Puppen das Personal des Stücks zum Leben erwecken und sich selbst als Show-Assistentinnen hinzugesellen.

Im Ringen zwischen Kunst und Kommerz obsiegt kaum überraschend der Markt, hier unter Zuhilfenahme von Gewalt. Ein Sammler setzt per Schusswaffe durch, was er für das einzig richtige Verhältnis von Kunst und Markt hält: Künstler sollen schweigen und schaffen – am besten nicht zu viel, sonst droht Preisverfall. Womit die ideologische Ebene dieser Produktion im Grunde schon abzuhaken wäre. Immerhin ist die materielle Auferstehung der Malerfürsten in Lebensgröße, die Quade und Smits mit ihren selbstgebauten Figuren ins Werk setzen, nicht ohne Charme.

Ausgereifter, schlüssiger, weniger platt kam „Yesterday (or how we felt about the rumour)“ vom Theater Malpertuis aus Flandern daher. Das Stück spielt in einem nicht genauer verorteten Korridor, vielleicht in einem Mietshaus. Auch sonst gibt es hier wenig Bestimmbares, „Yesterday“ erzählt von und mit dem, was nicht zu sehen ist. Die Architektur lässt den Fortgang von Bewegung lediglich vermuten; Alltagsgeräusche lassen erahnen, was hinter verschlossenen Türen geschehen mag. Wie die Figuren zueinander stehen, die da mal spielend durch den Flur toben, mal beladen dahintrotten, mal sich begegnen, mal aneinander vorbeieilen, sich streiten und lieben, bleibt schlussendlich dennoch ein Rätsel. Eine Art Höhlengleichnis, mit leisem Humor reizvoll eingerichtet.

Zum Festivalfinale wurde es dann gruselig: Regisseur Jakop Ahlbom zeigte seine Version des Psychothrillers „Bug“ von Tracy Letts. „Bug“ erzählt die Geschichte von Agnes, die vor ihrem gewalttätigen Mann in ein Hotelzimmer geflohen ist, und dem Golfkriegsveteranen Peter, mit dem Agnes ein Verhältnis eingeht, das schon nach der ersten gemeinsamen Nacht eine fatale Eigendynamik entwickelt: Peter will Wanzen im Hotelzimmer entdeckt haben. Bald hat er auch Agnes von deren Existenz überzeugt – und meint damit nicht nur biologische Plagegeister. Für Peter steht fest, dass sie als Sender in seinem Körper installiert wurden: „Sie“ sind hinter ihm her. Mit Gewalt will er die Wanzen aus seinem Körper entfernen. Blut fließt. Weil Peter das Einzige ist, was Agnes im Leben noch hat, folgt sie ihm zunehmend engagiert in seine Wahnwelt, in der beide gemeinsam am Ende Selbstmord begehen. Ahlbom, der für gewöhnlich ohne viel Worte auskommt, hat mit „Bug“ sein erstes Sprechstück inszeniert. Wo er in der Vergangenheit immer wieder mit Pantomime, Tanz und Illusionskunst arbeitete, ist „Bug“ ein beinahe naturalistisches Stück Theater, das allerdings mit geschickt platzierten Projektionen und raffiniertem Sounddesign das Alptraumhafte seiner Geschichte in zunehmend beklemmende Bilder überführt. //

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