Verkörpern
von Paul Brodowsky
Erschienen in: Lektionen 8: Neue Dramatik (10/2025)
Blickt man auf den (bislang ohnehin dünnen) gegenwärtigen Forschungsstand zu Gegenwartsdramatik, fällt auf, dass Körper-Text-Verhältnisse schlicht nicht thematisiert werden. In Gerda Poschmanns einschlägiger Monografie Der nicht mehr dramatische Theatertext von 2010 etwa werden gattungstypische Merkmale und Abweichungen fokalisiert, daneben werden sprachliche Mittel und die Theatralität der Texte analysiert. Eine Untersuchung, wie sich Körper und Körperlichkeit, oder auch Körper-im-Raum-Figurationen im Theatertext der Gegenwart niederschlagen, bleibt aus. Weitet man den Blick hin zu Standardwerken der Dramenanalyse, ergibt sich ein ähnliches Bild: In Manfred Pfisters Das Drama (1977) etwa finden sich Reflexionen zu Raum-Zeitstrukturen in dramatischen Texten, aber kein Nachdenken über Körper. Wendet man sich Hans-Thies Lehmanns Standardwerk Postdramatisches Theater (1999) zu, findet man gleich mehrere Abschnitte, die Körper in Aufführungskontexten analysieren; da sein Fokus ein ausgewiesen postdramatischer (und aufführungsanalytischer) ist, spielt ein dezidiertes Nachdenken über Körper und Körperlichkeit sowie Raum-Körper-Relationen in Texten keine Rolle.
Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass der Theatertext eine Gattung zwischen allen Stühlen darstellt. Ein wesentliches Spezifikum von Theatertexten ist seine ‚Janusköpfigkeit‘: Dramen werden einerseits als Literatur rezipiert; zugleich hat ein Theatertext die Funktion, eine Grundlage für eine (mögliche) Inszenierung zu liefern. Anders gesagt: Theatertexte sind gewissermaßen Partituren für eine Aufführung und den dafür notwendigen Inszenierungsprozess (→ Vertonen...