Theater der Zeit

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Auftritt

Komische Oper Berlin: Alki Saul

„Saul“ von Georg Friedrich Händel – Inszenierung Axel Ranisch, Musikalische Leitung David Bates, Bühnenbild Falko Herold, Kostüme Alfred Mayerhofer

von Teresa Pieschacón Raphael

Assoziationen: Theaterkritiken Musiktheater Berlin Axel Ranisch Georg Friedrich Händel Komische Oper Berlin

Penny Sofroniadou als Merab vor dem beeindruckenden David-Kopf in der Händel-Inszenierung „Saul“ an der Komischen Oper Berlin.
Penny Sofroniadou als Merab vor dem beeindruckenden David-Kopf in der Händel-Inszenierung „Saul“ an der Komischen Oper Berlin.Foto: Bettina Braun

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Am Anfang von Axel Ranischs „Saul“-Inszenierung stand ein schwarz-weiß flimmerndes Filmchen, das mit verschwörerisch flüsternder Stimme aus dem Alten Testament von dem Krieg gegen die Philister (den Erzfeinden Israels und Vorfahren der heutigen Palästinenser) berichtet; und einem schmächtigen israelitischen Hirtenjungen namens David, der den Philister und Hünen Goliath mit einer Stein-Schleuder ein Loch in den Kopf schießt und ihn damit erledigt. Am Ende der „Saul“-Inszenierung erklang Herbert Howells Lied „King David“ von 1919 im seicht sentimentalem Orchester-Arrangement von Iain Farrington, zum Besten gegeben vom David-Darsteller Countertenor Aryeh Nussbaum Cohen. „And he called for the music of a hundred harps, To ease his melancholy“, heißt es dort. „They played till they all fell silent, Played and play sweet did they; But the sorrow that haunted the heart of King David They could not charm away“. 

Zwischen Video und Song wurde das eigentliche Oratorium Händels gespielt mit alledem, was man an seiner Musik schätzt: den großformatigen, kontrapunktisch imposanten Chören, den affektgeladenen Arien und Duetten und der prächtigen Orchester-Instrumentierung, die bei „Saul“ regelrecht ausgefallen ist. „Mr Händels Kopf“ war laut seinem Librettisten Charles Jennens bei der Komposition 1736 schließlich „noch voller von fixen Ideen als ohnehin schon“. Händels drittes (italienischsprachiges) Opera seria-Unternehmen stand kurz vor dem Ruin, es galt also, dem Publikum ein englischsprachiges Oratorium der besonderen Klasse zu bieten. Neben dem normalen Opernorchester ließ Händel große Kesselpauken für die Aufführung aus dem Tower of London bringen. Dazu Soloharfe, Posaunen, die in England seinerzeit bereits aus der Mode gekommen waren und ein Carillon (Glockenspiel). Obendrein bestellte er eine neue Orgel für „500 Pfund, bei einem Moss aus Barnet“, wie Jennens außerdem berichtete und er bearbeitete mehrfach die Partitur. 

Sinnbildlich für den Inhalt des Oratorien-Dramas stand Ranischs wichtigstes Bühnenrequisit (Bühnenbild: Falko Herold): Goliaths abgeschlagener Kopf, sensationell, gruselig naturalistisch nachempfunden, mit großen Hautporen, Haarstoppeln und starrenden blauen Augen. Auf seiner Stirn thronte noch der alte König von Israel, Saul, im Wissen, dass er laut dem Propheten Samuel bald nicht mehr König sein werde, weil er sich Gottes Befehl widersetzt hatte. Aus dem offenen Mund des Toten trat der Hohepriester mit dem Wort Gottes hervor. Rechts und links die Leitern (zur Macht). Bereits im zweiten Akt war der Kopf bis auf den kahlen Knochenschädel verwest (Chapeau an die Technik!) Und mit ihm die Machtstrukturen so wie jegliche weitere theologische Deutung. Stattdessen führte Ranischs Szenerie in das RTL-Milieu einer „Familie im Brennpunkt“, Sitzcouch, Discokugel, Lautsprecherboxen und Bling-Bling Klamotten inklusive. Gute Zeiten, Schlechte Zeiten also für die Geschwister Michal, Merab und Jonathan, die um die Aufmerksamkeit von Papa Saul buhlten, und gleichzeitig scharf auf den schönen Kraftprotz David sind. Der hat offenbar mit keiner Liebes-Konstellation ein Problem. In Ranischs Inszenierung, der Filme wie „Ich fühl mich Disco“ oder „Alki Alki“ drehte, wird gezickt, gezankt, gesoffen und geschwängert und auch mal Panik geschoben: Penny Sofroniadou als schrille Koloraturen schmetternde Merab – was zu ihrer streitsüchtigen Partie zumindest im ersten Akt passt. Nadja Mchantaf als stimmlich und körperlich passionierte Interpretin der halbnackt hochschwangeren Micha, wenngleich alles andere als klangschön. Rupert Charlesworth als ihr Bruder Jonathan, der sich mit prägnantem Tenor gegenüber seinen immer irrer und wirrer werdenden Vater Saul behauptet. Mit dessen Partie hatte Händel zum ersten Mal die Hauptrolle mit einem Bass besetzt. Luca Tittotos wuchtiger, mitunter roher und unbehauener Bass mochte zwar Hass, Eifersucht und cholerische Ausbrüche glaubwürdig vermitteln, nicht aber die Selbstzweifel und Schwermut eines Königs, der seine Macht schwinden sieht. Dreimal wird Saul, der laut Ranisch in einem Interview vorab „übermäßig viel Alkohol“ trinkt, einen Speer nach David werfen und ihn verfehlen, während dieser sich auch stimmlich als zukünftiger Herrscher positioniert. Schönheit, die zu Kraft wird, so könnte man den Gesang des Countertenors Aryeh Nussbaum Cohen umschreiben, der gen Ende des Oratoriums auch von seinem Handeln her unter Beweis stellt, dass er nun der neue König ist. Erbarmungslos sticht er einen feindlichen Amalekiter nieder. Glitschiges Theaterblut spritzte bis an die Kante zum Orchestergraben, die beim Schlussapplaus den Saul Interpreten Luca Tittoto fast zum Verhängnis geworden wäre. Regelrecht in Drive geriet nicht nur David Bates beim Orchester, sondern auch das Publikum mit tosendem Jubel für die letzte Premiere an der Komischen Oper vor ihrem Umbau. 

Erschienen am 2.6.2023

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