Auftritt
Maxim Gorki Theater Berlin: Emotionale Felsbrocken
„Blood Moon Blues“ von Yael Ronen und Orit Nahmias (UA) – Regie Yael Ronen, Bühne Wolfgang Menardi, Kostüme Amit Epstein, Musik Yaniv Fridel, Ofer Shabi, Video Stefano di Buduo
von Theresa Schütz
Assoziationen: Theaterkritiken Berlin Yael Ronen Maxim Gorki Theater
Yael Ronens Theaterarbeiten sind dafür bekannt, politische Konflikte oder größere, gesellschaftspolitische Fragen im Mikrokosmos individueller Biografien und Beziehungskonstellationen aufzusuchen und darüber verhandelbar zu machen. Für ihre neue Produktion „Blood Moon Blues“ am Berliner Maxim Gorki Theater hat sie die Stückfassung gemeinsam mit Schauspielerin Orit Nahmias verfasst, zu der bereits eine langjährig gewachsene Arbeitsverbindung besteht. Dabei haben sie sich einen ordentlichen Brocken vorgenommen: das komplexe Thema psychischer Symptomatiken und wie diese Liebes- und Familienbeziehungen prägen und belasten können.
Die zu Beginn durch ein gelb beleuchtetes Passepartout gerahmte Bühnenwelt stellt thematisch passend eine ungemütliche Felslandschaft dar. Links und recht türmen sich gelbe Brocken auf, zum Teil surrealistisch anmutende Videoprojektionen im Hintergrund komplettieren die abstrakte Umgebung. Aus dem ersten Dialog erfahren wir, dass der Bühnenraum als eine Gebirgsregion in Israel bespielt wird, in die sich die bipolare Hauptfigur Elinor (Orit Nahmias) für einen Schreib-Aschram zurückgezogen hat.
Elinor wird in den ersten Szenen zunächst abwesend über die drei anderen Figuren vorgestellt: Da sind ihre Tochter Luna (Aysima Ergün), ihre jüngere Geliebte Gabriella (Vidina Popov) sowie ihr noch jüngerer Loverboy Greg (Doğa Gürer). Luna, in beigefarbenen One-Suit und braunem Pagenschnitt, ist Medizinstudentin, steht kurz vor ihren Prüfungen und hat seit zwei Jahren keinen Kontakt zu ihrer Mutter. Gabriella in Leopard-Jackett und High Heels ist etwa ebenso lang Elinors Partnerin, und ist zudem Therapeutin, zeitweise auch die von Elinor. Und Greg, mit Halstuch, Cowboy-Hut und schwarz-gemustertem Kimono, der so kurz geschnitten ist, dass sein blanker Po hervorblitzt, wenn er die Arme hebt, ist Elinors Affäre auf Reisen und liefere ihr den besten Sex ihres Lebens. Das etwas klischiert entworfene Trio macht sich mit Backpacker Rucksack (Luna) und Rimowa-Koffer (Gabriella), begleitet von Greg und Steinbock-Visuals im Hintergrund auf den Weg in die Berge, denn: Elinor lässt bitten. Und zwar – wie sie vor Ort überrascht werden – zur gemeinsamen „Blood Moon Ceremony“.
Auftritt Orit Nahmias in Öko-Eso-Look mit weißem Tunikakleid, roter Stoffhose, langen Federohrringen und noch längeren hellgrauen Haaren. Sie heult auf. Wie einer der Wölfe, die in der Nähe siedeln. Euphorisch begrüßt sie alle und tut kund, dass ihre Trilogie abgeschlossen sei. Mindestens nobelpreisverdächtig sei sie, drunter macht sie’s nicht. Sehr well made folgen dann eine Reihe Zweier-Gesprächsszenen, die in alle Beziehungskonstellationen einmal hineinzoomen. Wie üblich in Ronen-Stücken ist Elinor mehrsprachig unterwegs, switcht immer wieder zwischen deutsch und englisch. Wie ebenfalls üblich, wird die psychologische Spielweise regelmäßig durch mal mehr mal weniger gelungene Scherze durchbrochen, beispielsweise wenn Greg das Echo einer Sinkhöhle imitiert oder darauf besteht, dass in einer Szene nur diejenige Person sprechen darf, die den „Redeknochen“ hält. Was in vielen Inszenierungen von Ronen eine sinnvolle Strategie ist, um schwere Stoffe etwas bekömmlicher zu servieren, ist für das Thema von „Blood Moon Blues“ ein heikles ästhetisches Mittel, vor allem, wenn es um die Darstellung einer bipolaren Persönlichkeitsstörung geht, für die plötzliche Stimmungswechsel symptomatisch sind. Aber auch, weil diese Spielweise dazu führt, dass viele der tragischen Konflikte und Wunden, von denen die Figuren gezeichnet sind, dadurch nur sehr oberflächlich angetippt werden können.
Immer wieder ploppt in den Dialogen kurz die emotionale Komplexität auf, die sich für Familienmitglieder und Beziehungspartner:innen ebenso wie für die betroffene Person auftun, wenn das Leben aller von der psychischen Erkrankung einer dominiert wird. Dies gilt vor allem für die Mutter-Tochter-Beziehung, in der Luna früh die Rolle der Erwachsenen und Elinor die des Kindes ausfüllte. Dass Luna zwölfjährig ihrer Mutter nach einem Suizidversuch zur Seite stand und sich bis heute für sie verantwortlich fühlt, ist eine emotionale Last, die Luna durch Leistung zu kompensieren sucht. Alle vier erscheinen als liebesbedürftige Personen, die sich aus Selbstschutz egozentriert verschanzen und dabei auch verlernen, einander richtig zuzuhören. Dass die Figuren einem aber auch immer wieder entgleiten, liegt nicht nur an den humoresken und bilingualen Brüchen in der Spielweise, sondern auch schlicht an der dramaturgischen Überladung mit Konflikten. Dass zum Beispiel ein Mutter-Tochter-Dialog dann auch noch die Aufklärungsarbeit über den abwesenden Vater leisten will, und Elinor die Zeremonie nutzt, um von ihrer Krebsdiagnose zu berichten, ist simply too much.
Das Entgleiten der Figuren kann dabei auch als ironisierend-selbstreferenzieller Kommentar auf ein Berliner Hipster-Milieu mit Therapiebackground gedeutet werden könnte, zu dem vermutlich auch zahlreiche der am Gorki tätigen Künstler:innen wie auch Zuschauer:innen selbst gehören. Aus diesem ironisierenden Gestus, der sich zum Beispiel auch in den Kostümen wiederfindet, resultiert dann allerdings nicht nur eine gewisse, zuweilen auch sympathische, Nicht-Greifbarkeit der Figuren, sondern leztlich auch eine unklare Haltung der Inszenierung den Figurenund verhandelten Gegenständen selbst gegenüber. Wenn in „Blood Moon Blues“ mittels Ironie auch das eigene Milieu portraitiert werden soll, indem z.B. auf bestimmte Privilegien hingewiesen wird, dann wird diese Verflochtenheit allerdings nicht wirklich reflektiert, sondern ist bestenfalls eine Pose, hinter der sich dann die eigentliche Haltung der Inszenierung verstecken kann.
Das Verhältnis der ästhetischen Mittel wie der Visuals, die neben aufscheinendem Mond oder Tierfiguren frühzeitig das gelblich leuchtende Farbspektrum mit dichtem, schwarzem Qualm überdecken, oder auch des Sounds (ab der Hälfte des Abends wird ein Blues-Stück gespielt) ist trotz Abstraktionsbemühungen deutlich zu illustrierend geraten. So wabert audiovisuell getriggert auch ein bisschen too much emotionale Gravitas durch den Raum. Auch wenn es gesellschaftspolitisch betrachtet, mehr als überzeugt, dass sich auch im Theater stärker mental health-Themen – gerade auch aus einer weiblichen Perspektive – zugewendet wird, wirft eine Inszenierung wie „Blood Moon Blues“ vor allem auch die Frage auf, welche ästhetischen Darstellungs- und Bebilderungsmittel für emotionale Felsbrocken wie diese die wirklich geeigneten wären.
Positiv hervorzuheben bleibt abschließend, dass Ronen und Nahmias auf kluge Weise eine intersektionale Perspektive einziehen, die aufzeigt, dass Herkunft, (Im)migrationsgeschichte, Geschlecht und soziale Klasse im Kontext von psychischen Belastungen mitgedacht werden müssen. Genau diesen Komplex allerdings noch genauer zu beleuchten, dafür schaffen Text wie Inszenierung dann leider schlicht nicht genügend Spielraum.
Erschienen am 7.12.2022