Spielstätten
TD Berlin
Erschienen in: Andere Räume – Die Freien Spielstätten in Berlin (04/2021)
Assoziationen: Freie Szene Berlin TD Berlin
Der TD Berlin wurde 2003 als „Theaterdiscounter Berlin“ gegründet. Zu Zeiten, als Räume in der Stadt noch im Überfluss vorhanden waren und Zwischennutzung gängige Praxis, hat eine Gruppe unabhängiger Theaterschaffender aus der Praxis des Produzierens heraus einen Ort geschaffen, an dem zeitgenössisches Theater über Formate, Experimente und aufwendigere Inszenierungen weiterentwickelt werden konnte. Die Namensgebung war sowohl ironischer Verweis auf als auch Widerspruch gegen die prekären Bedingungen, unter denen Freie Theaterarbeiten damals realisiert wurden – teils noch heute realisiert werden. Zugleich war es auch eine spielerische Einladung an das Publikum, Theater ohne gedankliche Barrieren oder vorgefertigte Vorstellungen von Bühneninnenräumen neu zu entdecken. Die an der Gründung beteiligten Künstler:innen hatten in den Jahren zuvor etliche brachliegende Räume temporär mit großem Erfolg bespielt und brachten diese Energie – einen Nichttheaterraum immer wieder neu als Bühne zu begreifen – auch in die flexibel bespielbare Halle des TD Berlin mit ein, wo sie das Publikum in ganz unterschiedliche räumliche Konstellationen einluden. Die Gründung des TD ging einher mit der Verstetigung der eigenen Produktionen zu einem Spielplan, dem sukzessiven Ausbau einer technischen Infrastruktur und einer produktionsübergreifenden Organisation. Am Standort im zweiten Obergeschoss des ehemaligen Fernmeldeamtes (Ost) in der Klosterstraße 44 können in einer 370 Quadratmeter großen Halle variable Raumkonzepte und Zuschauersituationen realisiert werden. In der Regel finden 99 Personen Platz, nach einem geplanten Umzug innerhalb des Gebäudes in naher Zukunft bis zu 199.
Bis 2008 war die Heimat des Theaterdiscounters die alte Packhalle des Telegrafenamtes an der Monbijoustraße gegenüber der Jüdischen Synagoge. Die Zwischennutzung wurde vom Investor durch die Ankündigung von Entwicklungsmaßnahmen beendet, die dann jedoch noch weitere zehn Jahre auf sich warten ließen. 2009 wurde der Theaterdiscounter Pioniernutzer im damals noch komplett leer stehenden, dann nach und nach entstehenden Theater- und Atelierhaus Klosterstraße 44. Im Haus befand sich zu DDR-Zeiten eine Fernmeldezentrale, weshalb es nach der Wiedervereinigung übergangsweise von der Deutschen Telekom genutzt wurde. Nachdem das Haus jahrelang leer stand, erschloss es ein Betreiber aus der Berliner Clubszene für die Zwischennutzung durch den Club WMF.
In Eigeninitiative und mit großem, weitestgehend unbezahltem Engagement wurde damals die ehemalige Büroetage für die Zwecke des professionellen Theaterbetriebs umfunktioniert. Nach und nach zogen Bildende Künstler:innen und weitere Nutzer:innen aus dem Kunstkontext in das Gebäude ein. Durch wiederholte Verkäufe erhöhte sich über die letzten zehn Jahre zunehmend der Verwertungsdruck auf die Flächen, so dass ansässige Künstler:innen gezwungen waren, ihre Ateliers aufzugeben und Büronutzungen aus dem Kreativ- und Start-up-Bereich zunahmen. Mit dem letzten Verkauf endete vorerst das bisherige Betreibermodell und Stand 2021 ist der TD vorübergehend der letzte verbleibende Nutzer des Gebäudes. Der neue Eigentümer hat zugesagt, im Rahmen der Modernisierung alternative Flächen für die nahtlose Fortsetzung des Theaterbetriebs im Erdgeschoss bereitzustellen. Bis dahin spielt der TD weiter in respektive online aus der zweiten Etage.
Der TD Berlin ist ein Theater in der Mitte der Stadt. Auf dem Spielplan steht ein wöchentlich wechselndes Programm neuer Inszenierungen und Performances mit Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Themen. Er lädt seine Zuschauer:innen zu jährlich weit über dreißig Theaterarbeiten und verwandten Formaten ein. Als Ankerinstitution der Freien Szene befindet sich der TD Berlin in Konzeptförderung durch das Land Berlin. Weitere Teile der Finanzierung erfolgen über Projektmittel für Einzelproduktionen, Festivals und Reihen aus öffentlicher Hand sowie durch private Stiftungen, aber auch durch Eintrittsgelder und Vermietungen von Probenräumen. Als Produktionsort ist er wichtiger Partner für unabhängige Kompagnien und Künstler:innen in lokalen, überregionalen und internationalen Netzwerken. Dabei liegt der Programmfokus auf der Weiterentwicklung von zeitgenössischem Sprechtheater, aber auch auf Festivals und stadtbezogenen Draußenveranstaltungen.
Ziel des TD Berlin ist es, Geschichten ungewöhnlich zu erzählen und Raum für neue Lesarten zu öffnen: beispielsweise in den Arbeiten von somerMaids, Frauen und Fiktion, internil oder Thermoboy FK. Bekannt gewordene Eigenproduktionen und -reihen thematisieren die Interventionsmöglichkeiten künstlerischer Arbeit, die Arbeitsbedingungen und Produktionsformen von Theater und setzen das Medium Theater in provokative Reibung mit anderen künstlerischen Disziplinen. Immer wieder entstehen am TD experimentelle, teils waghalsig abwegige Formate, in den letzten Jahren pflegt er auch eine verstärkte Auseinandersetzung mit digitalen Phänomenen und Netzdiskursen. Originäre Festivalformate wie „Offshore“ und „Festivaali“ beispielsweise ermöglichten Einblicke in die innovativen Theaterszenen der Schweiz und Finnlands, das seit 2007 regelmäßig ausgerichtete „Monologfestival“ ist eines der wenigen Produktionsfestivals der Freien Szene und bringt in jeder Ausgabe bis zu zehn Uraufführungen zu einem gemeinsamen Thema hervor. Der TD ist Kooperationspartner überregionaler Initiativen und Gastspielnetzwerke im Netzwerk Freier Theater und setzt sich aktiv für verbesserte überregionale Vernetzungs- und Auswertungsmöglichkeiten Freier Künstler:innen und Kompagnien ein.
Die Gegend rund um den TD Berlin – zentral gelegen zwischen Alexanderplatz und Spree – steht vor einer vielversprechenden Verwandlung. Bislang wurde das Gebiet von den meisten Berliner:innen nicht als Kiez wahrgenommen. Die aktuelle Verkehrswegeführung leitet am Viertel vorbei und es existiert kein nennenswertes direktes Wohnumfeld. Seit einigen Jahren erwacht der Kiez jedoch durch sukzessive strukturelle Veränderungen allmählich aus dem Dornröschenschlaf: Mit der Entwicklung des komplett neuen Stadtquartiers Molkenmarkt soll sich das Viertel in Zukunft radikal ändern. Die auf Automobilität ausgerichtete Infrastruktur wird zurückgedrängt, damit städtisches Bauland entsteht, das bis 2026 zu einem neuen Stadtquartier entwickelt werden soll. Kulturelle Nutzungen, sozialer Wohnraum, nachhaltige Architektur und Mobilitätskonzepte sollen dabei prägende Faktoren sein. Ein offenes Beteiligungsverfahren läuft derzeit und es besteht die einmalige Chance, im Zentrum der Stadt ein zukunftsweisendes, lebendiges Kulturquartier zu gestalten. Der TD Berlin ist schon jetzt vor Ort und wird in den kommenden Jahren nicht nur auf der Theaterbühne drinnen, sondern auch auf den öffentlichen Bühnenflächen des Molkenmarkts und des Klosterviertels mit künstlerischen Interventionen Position beziehen und den zukünftigen Begegnungsort bereits in der Gegenwart Realität werden lassen.