Theater der Zeit

Vorwort

von Tobias Rausch, Heiner Remmert und Birgit Lengers

Erschienen in: Recherchen 97: Magic Fonds – Berichte über die magische Kraft des Kapitals (01/2013)

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Was passiert mit meinem Geld, wenn ich gerade nicht hinschaue? – Obwohl wir täglich Geld in die Hand nehmen, bleibt für die meisten von uns unergründlich, wie unser Finanzsystem funktioniert. Wir wissen nicht, welchen Weg unser Sparguthaben nimmt, sobald wir es am Bankschalter eingezahlt haben. Wieso kann es sich auf geradezu magische Weise vermehren? Und wie ist es möglich, dass es sich manchmal in Luft aufzulösen scheint? Ist das eine Art moderner Zauberei?

Mit sechs Jugendlichen aus Berlin und fünf Jugendlichen aus Basel haben sich das Theaterkollektiv lunatiks produktion und das Junge DT diese magischen Fragen gestellt. Die Jugendlichen haben über sechzig Interviews mit Anlageberatern, Fondsmanagern und Investmentbankern geführt. Sie haben Kleinanleger, Börsenjournalisten und Mitarbeiter der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) getroffen. Sie haben sich mit der Subprime-Krise und der Erfindung des Papiergeldes befasst.

Aus den Interviews und Recherchen ist das Theaterprojekt „Magic Fonds – Ein Rechercheprojekt über das rätselhafte Verschwinden des Kapitals“ entstanden (Premiere: 28. April 2011, Deutsches Theater Berlin). Mit dem Mittel der Zauberkunst erzählen und fragen die Jugendlichen, welche magische Kraft Geld besitzt. Und wie es die Menschen verändert, die damit zu tun haben.

Die Frage nach der Magie des Geldes ist keine akademische. Der französische Fußballspieler und Schauspieler Éric Cantona hatte 2010 dazu aufgerufen, dass sämtliche Kunden ihre Sparguthaben abheben sollten (Bankrun2010.com). Das wäre das Ende der Banken gewesen. So viel Geld kann gar nicht ausgezahlt werden, weil es nicht da ist. Das heißt, wir hantieren mit einem imaginären Versprechen – dem Versprechen, dass es das Kaninchen im Hut tatsächlich gibt. Aber das System funktioniert nur, solange keiner das Kaninchen sehen will.

Wer in den vergangenen Jahren die Wirtschaftsnachrichten verfolgt hat, ahnt, dass der Wert unseres Geldes vor allem auf der Bereitschaft beruht, sich täuschen zu lassen. Schon die Einführung des Papiergeldes in Frankreich durch John Law 1716 fußte auf einer illusionistischen Operation: Niemand konnte nachweisen, dass der Gegenwert der Papierscheine, die im Namen des Regenten Philippe von Orléans herausgegeben wurden, tatsächlich als Gold in den Schatzkammern des Königshauses lagerte – es genügte allein der Glaube daran. Wenn fast dreihundert Jahre später die griechische Regierung mit Tricks ihren Beitritt zum Euro erschwindeln kann, dann wird die Kontinuität des illusionären Charakters unseres Finanzsystems sichtbar. Die Stabilität unserer Währung beruht auf Illusionen. Empörend? Oder einfach Grundprinzip des Kapitals?

 

Wohl jeder Zauberer macht die Erfahrung, dass sich manche Menschen nicht gerne täuschen lassen. Das Publikum möchte herausfinden, wie der Trick funktioniert. Dahinter steht die Sehnsucht, dass es doch für alles eine einfache Erklärung geben muss. Selbst bei der kompliziertesten Geldanlage soll „mit Hausverstand“ zu verstehen sein, womit hier Geld verdient wird, wie ein österreichischer Anlageberater während eines Interviews fordert.

 

Man könnte also diejenigen Menschen fragen, die es wissen sollten – die Eingeweihten im Zirkel der Geldvermehrung. Wer die Profis der Finanzbranche
und erfahrene Anleger interviewen will, trifft jedoch auf ein Problem: Geld breitet einen magischen Kreis des Schweigens um sich aus. Nach wie vor ist es ein Tabu, über Geld zu reden. Bei den Bankern nennt sich dieses Tabu „Diskretion“ oder auch „Bankgeheimnis“. (Interessanterweise haben auch Zauberer einen Kodex, dass mit Außenstehenden nicht über den Trick gesprochen werden darf.) Vielleicht hat also das Bankgeheimnis, um das zwischen Deutschland und der Schweiz derzeit so sehr gerungen wird, noch eine andere Funktion als nur die Anleger vor dem Finanzamt oder neugierigen Dritten zu schützen: nämlich die Aura des Geheimnisvollen um das Medium Geld zu bewahren. Andernfalls könnte vielleicht jemand auf den Gedanken verfallen, dass es sich ja nur um bedrucktes Papier handelt.

Der Banker an sich ist also diskret – und das Interview ist deswegen nicht seine beliebteste Äußerungsform. So manches Interview nahm deswegen eher die Form eines Beratungsgesprächs für Geldanlagen an. Und doch haben sich einige der Gesprächspartner geöffnet und erstaunlich tabulos über ihre Branche und den Umgang mit Geld gesprochen.

Vielleicht lag dies daran, dass es Jugendliche waren, welche die Fragen stellten. Es sind keine journalistischen Interviews oder sozialwissenschaftliche Befragungen, die hier gemacht wurden. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ und enthüllen keine Skandale, die bislang unbekannt waren. Vielmehr handelt es sich um sehr persönliche Gespräche, die von Neugier und dem Wunsch geleitet sind, den Gesprächspartner und sein Handeln zu verstehen. Und vielleicht können gerade Jugendliche die ganz einfachen, vermeintlich naiven Fragen stellen – Fragen, die Erwachsene gar nicht mehr zu stellen wagen. Es sind ja gerade die einfachen Fragen, deren Antworten manchmal ziemlich vertrackt sind.

Die Erkenntnisse der Jugendlichen aus den Gesprächen waren in dreifacher Hinsicht überraschend:

1. Geld produziert nicht Sicherheit, sondern Angst.

Wenn man Menschen fragt, warum Geld für sie wichtig ist, antworten viele, dass Geld Sicherheit gibt. Und mehr Geld gibt mehr Sicherheit. Aber die Interviews sprechen eine andere Sprache: Geld produziert Angst. Und mehr Geld bedeutet auch mehr Angst. Angst vor dem Verlust des Geldes. Angst vor dem Neid der anderen. Angst, einen Fehler zu machen. Das kann dazu führen, dass die Abläufe ganzer Abteilungen eines internationalen Bankkonzerns davon geprägt sind, dass niemand eine Entscheidung treffen will, weil jeder befürchtet, etwas Falsches zu sagen oder zu tun – wie eines der Interviews eindrucksvoll belegt.

Aber auch ein privates Vermögen kann zur Belastung werden, wie in dem Interview mit einer Erbin aus Basel deutlich wird. Geld ist eben mehr als Geld. Als Erbe einer Dynastie ist es mit Beziehungen, Emotionen und Erwartungen verbunden. Sein Verlust bedeutet vielleicht Abschied von den Eltern, für deren Liebe das Geld zum Stellvertreter geworden ist. Vielleicht bedeutet Verlust dann auch die Chance, sich von alten Verbindungen freizumachen. Einen Neuanfang. So kann Geld ganz unterschiedliche Gestalten annehmen – und die Menschen verwandeln, mit denen es in Berührung kommt.

2. Das Geld ist immer genau dort, wo man gerade nicht hinschaut.

Die ziemlich einfach klingende Frage, wo sich mein Geld aufhält, wenn ich es am Bankschalter eingezahlt habe, ist in Wirklichkeit ziemlich kompliziert. Im Interview erzählt ein selbständiger Computerspezialist, wie er für seine Kinder Geld auf einem Festgeldkonto angelegt hat. Von einen Tag auf den anderen war die Bank plötzlich pleite und das Konto gesperrt. Ziemlich schnell wurde klar, dass das Geld nicht einfach verschwunden war, sondern einfach nur woanders. Aber wo ist woanders? Der Vater machte sich auf eine kafkaeske Suche, die ihn bis nach Island und in die seltsamen Verstrickungen des internationalen Bankensystems führte: Der Kreislauf des Geldes ist in Wirklichkeit ein unendliches Labyrinth. Die Ergebnisse der Nachforschungen erinnern an betrügerische Hütchenspiele, bei denen das Papierkügelchen immer gerade nicht dort ist, wo man nachschaut.

3. Banker wissen auch nicht, wie der Finanzmarkt funktioniert.

Auch Banker und Aktienhändler sind Personen mit menschlichen Fehlern. Sie werden gierig oder übervorsichtig und verhalten sich dabei irrational. Doch was wohl am nachdenklichsten stimmen muss, ist die Tatsache, dass bis zum Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 selbst viele Banker nicht genau verstanden haben, wie eigentlich mit mehrfach verbrieften Kreditpapieren Geld verdient wurde. Die Designer von hochkomplexen Anlageprodukten galten in der Branche als mathematische Genies, die unverständliche Dinge taten – offensichtlich hatten sie den Stein der Weisen gefunden, wie man aus Schulden Geld machen konnte. Solange die Bilanzen stimmten, waren alle mit diesem Wunder zufrieden.

Ist doch alles nur Hokuspokus, eine Luftnummer, die irgendwann in sich zusammenfallen muss? Wo ist dann überhaupt noch der Unterschied zwischen seriösen Banken und windigen Hütchenspielern? Es stellt sich also die Frage, ob es beim Geld gar nicht um Wahrheitssuche geht, sondern vor allem darum, eine gute Zaubershow abzuliefern. Kann es sein, dass es immer nur Tricks sind, die uns die großen Magier von David Copperfield bis Wolfgang Schäuble vorführen? Entscheidend ist dann die „Routine“, wie die Zauberexperten sagen. Also wie der Trick präsentiert wird. Das macht den Unterschied zwischen Meistern der Illusion und Jahrmarktsschwindlern. Die Magie des Kapitals wäre dann kein fauler Zauber, sondern dienotwendige Begleiterscheinung dafür, dass Geld einen Wert hat.

Im vorliegenden Band sind ausgewählte Interviews versammelt, die größtenteils nicht in den Stücktext eingeflossen sind. Die Gespräche zeigen die große Spannbreite, mit der die Magie des Geldes Menschen und ihre Biografien bestimmen kann. Den Interviews an die Seite gestellt sind die Berichte von vier Jugendlichen, in denen sie ihre Erfahrungen während der Recherche zum Theaterstück schildern. Wir danken Björn Lengers für die fast dreißig Begriffserklärungen von „Aktie“ bis „Xetra“. In Beiträgen des Kulturwissenschaftlers Fritz Breithaupt und des Zauberkünstlers Ulrich Rausch wird aus Expertensicht ein Blick auf die magische Dimension des Geldes geworfen. Der Fotograf Arno Declair zeigt in der Bildstrecke „The show is over“ Zeichen und Spuren einer Welt, deren fetten Jahre offensichtlich vorbei sind, in der jedoch mit Trickserei, Blendwerk und Chuzpe Kapital aus dem Mangel zu schlagen versucht wird, mal tapfer, mal dreist, mal verzweifelt. Der Stücktext zeigt schließlich das Ergebnis der Recherchen, wie es in Berlin und Basel auf die Bühne gebracht wurde.

Die Magie des Geldes konnte dabei nicht entschlüsselt werden. Aber möglicherweise wird deutlich, in welchem Maße wir diesen magischen Dimensionen des Kapitals erliegen können.

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