Harold Bloom, der große amerikanische Shakespeare-Forscher, ein fast unübertroffener Meister des „close reading“, meinte, unsere Epoche sei dem „King Lear“ nicht gewachsen. Und Bloom hat noch mehr Interessantes herausgefunden. Die Titelfigur des Dramas bezeichnet er fast wortwörtlich als die letztgültige Verkörperung des alten weißen Mannes. Wenn man bedenkt, dass das Stück in grauer Vorzeit spielt, Jahrhunderte vor Christus …
Als hätte Johan Simons in seiner Bochumer Inszenierung Bloom irgendwie zustimmen wollen, lässt er gegen Ende ein wenig die Zügel schleifen. Das fast unerträgliche Pathos der Tragödie wird unterlaufen, die fabelhafte Anna Drexler, zuvor Cordelia und Narr, zitiert die Regieanweisungen („Lear stirbt“), die Toten liegen zuckend auf der Bühne, und das wirkt dann wie eine schale Parodie. Schade, denn bis dahin, also vier Akte lang, war im Bochumer Schauspielhaus ein fesselnder, glasklarer „Lear“ zu erleben. Pierre Bokma mit seinem feinen niederländischen Akzent, ohne Blumen im Haar, stattdessen mit einem Pelzhut geschmückt (Kostüme Greta Goiris), interpretiert den Achtzigjährigen als einen impulsiven, nicht sehr intelligenten, aber dennoch nachdenklichen und vor allem hochsympathischen Aristokraten. Seine Begegnungen mit Cordelia sind herzzerreißend. Die jüngste Tochter (die beiden anderen sind Travestien, von Männern gespielt) reagiert keineswegs demütig oder zerknirscht, als der Vater die Stoisch-Störrische vom Hof jagt....