Theater der Zeit

Magazin

Festivalsimulation oder Professionalisierung im geschützten Raum?

Das studentisch organisierte Theater- und Performancefestival transeuropa in Hildesheim

Erschienen in: Theater der Zeit: BRACK IMPERieT – „Hedda Gabler“ von Vegard Vinge und Ida Müller in Oslo (09/2022)

Assoziationen: Performance Niedersachsen Theaterkritiken

Die Performance „AUTOTOMIE: der Gastgeberkörper" von Post-Organic Bauplan beim transeuropa [X] 2021.
Die Performance „AUTOTOMIE: der Gastgeberkörper" von Post-Organic Bauplan beim transeuropa [X] 2021.Foto: Thomas Puschmann

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„Dass wir heute hier sind, ist was ganz Besonderes“ – mit diesen Worten eröffnet Annemarie Matzke, Studiendekanin des Fachbereichs 2 der Universität Hildesheim, die zehnte Ausgabe des transeuropa-Festivals. Es regnet an jenem Dienstagnachmittag 2021, sporadisch wurde deshalb ein pinker Pavillon über das Rednerpult gestellt und die Rednerinnen und Redner mit ausreichend Abstand an weiß behusste Stehtische verwiesen, an denen sie wacker ihre Regenschirme halten. Und dennoch ist das transeuropa [X] gleich in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Ereignis. Zum einen fand es während einer globalen Pandemie, die das Theater, insbesondere die freie Szene, hart getroffen hat, überhaupt statt, und das – im Gegensatz zu anderen Theaterfestivals – sogar teilweise in Präsenz. Zum anderen hat es das von Student:innen organisierte Festival geschafft, sich seit seiner Gründung 1994 zu einer festen Größe, nicht nur der Hildesheimer Kulturlandschaft, sondern auch innerhalb der internationalen Nachwuchs-Theaterszene zu etablieren.

Das erste transeuropa – europäisches Festival für performative Künste wollte damals nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Ost-West-Verbindungen stärken und einen neuen Austausch der Kulturschaffenden ermöglichen. Seitdem wird das Festival unter wechselnden Themen und Leitungsteams alle drei Jahre in Hildesheim von Studierenden der kulturwissenschaftlichen Studiengänge an der Universität Hildesheim organisiert. Dabei ist das transeuropa als Verein nahezu eigenständig organisiert – die Universität fungiert vor allem als Haupt-Kooperationspartner. „Es ist klar, dass die Lehrenden und das Institut die Festivalmacher:innen unterstützen, das Festival an sich aber keine Veranstaltung des Instituts ist. Es ist auch kein verlängerter Arm der Lehre, auch wenn es Formate gibt, Struktur, Inhalt sowie die Praxis des Festivals in die Lehre einzubinden“, beschreibt Jens Roselt, Professor für Theorie und Praxis des Theaters an der Universität Hildesheim und Mitglied des Trägervereins transeuropa e. V., das Verhältnis zwischen Universität und Festival. Konkret bedeutet das: Die Universität gibt den Studierenden Räume, finanzielle Ressourcen, Unterstützung in der Programmund Finanzplanung sowie beim Schreiben der Anträge. Außerdem werden Veranstaltungen zum Thema des Festivals und Festivalarbeit im Allgemeinen angeboten.

Allein im Zuge des letzten transeuropa [X] fand eine Übung zur praktischen Festivalarbeit statt, in der verschiedene Warm-ups und Vermittlungsstrategien erst ausprobiert und dann spezifisch für das transeuropa-Festival entwickelt wurden. Außerdem kam ein Projektsemester – ein dreimonatiges projektorientiertes Praxisstudium an drei vollen Tagen der Woche – in direkter Anbindung an das Festival zustande. Die Studierenden halfen, neben einer theoretischen Beschäftigung mit dem Thema Festival, beim Auf- und Abbau, im Ticketing, an den Abendkassen und Corona-Kontrollstellen, in der Künstler:innenbetreuung und im Social-Media-Team mit und konnten dadurch Erfahrungen in der Organisation und Durchführung eines internationalen Nachwuchsfestivals sammeln. Darüber hinaus können Student:innen eines ihrer Pflichtpraktika auf dem Festival absolvieren. Eva Bode, Teil des Leitungsteams des transeuropa [X], 2021, sieht darin eine Win- Win-Situation auf allen Seiten: „Das transeuropa bekommt helfende Hände, und die Studierenden bekommen credit-points“. Die Veranstaltungen werden zum Teil von Dozierenden, Externen und den Leitungsteams selbst gegeben – Letztere meist ohne Lehrerfahrung. Dafür stellte die Universität in den letzten Jahren bis zu acht Hiwi-Stellen bereit.

Für die Macher:innen bedeutet das eine enorme Arbeitsbelastung, aber auch einen großen Freiraum, das Festival individuell gestalten und ausrichten zu können. Julia Buchberger, Patrick Kohn und Max Reiniger beschreiben diese Praxis in ihrem Band „ Radikale Wirklichkeiten“ (transcript-Verlag, 2021) als performative Praxis der Arbeit an und auf Festivals. „Wir mussten lernen, unserem eigenen Geschmack zu misstrauen, und uns zu fragen: Warum springe ich auf diese Arbeit an?“, betont Eva Bode. Anhand dieser Frage nach dem eigenen Geschmack – den eigenen Sozialisierungen und Seherfahrungen – sowie dem Festival-Thema hat das Team des transeuropa [X] Kriterien für seine Kurationspraxis entworfen. Keinen Katalog, der abgehakt wurde, eher die Frage danach, wem eine Bühne geboten werden sollte und wem nicht. „In diese Position kommt man außerhalb des transeuropa-Rahmens so schnell nicht mehr“, sagt Jens Roselt, „da fängt man dann wieder auf der Praktikums-Ebene an.“

Im Vergleich zu nicht-studentischen Festivals ist auch der Erwartungsdruck von außen geringer. Geldgeber, wie etwa die Stiftung Niedersachsen, werden von transeuropa zum Beispiel ganz andere Dinge erwarten, wie vom Festival Theaterformen. Dadurch baut sich die Druckkulisse vor allem intrinsisch und anhand der eigenen Erwartungen und Maßstäbe auf, bietet aber auch die Möglichkeit, eigene Standards unabhängiger wieder zu verwerfen: „Am Anfang hatten wir uns auf sechs Produktionen festgelegt. Dann kam eine siebte, die wir auch noch reinnehmen wollten. Wer sagt eigentlich, dass wir keine siebte Produktion haben können? Ah, das waren wir selber, wir können das einfach noch umschmeißen, weil es unser Festival ist“, erzählt Ulrike Wegener, die beim transeuropa [X] vor allem PR- und Social-Media- Arbeit übernommen hat.

In diesem Zusammenhang sind studentisch organisierte Festivals, wie das transeuropa in Hildesheim, ästhetisches Forschungslabor und prekärer Arbeitsplatz zugleich. Studierende, die ein solches Festival im Rahmen ihres Studiums mitorganisieren, müssen oft ein, meistens zwei Urlaubssemester nehmen. Dadurch, dass zwingend eine Menge eigener Ressourcen an die Universität abgegeben werden müssen, ergibt sich eine Auswahl, wer sich überhaupt leisten kann, ein transeuropa zu organisieren. Und auch wenn sich die Bezahlung in den vergangenen Ausgaben stetig verbessert hat – 2021 konnten die Organisator:innen ihren Techniker: innen beispielsweise 17 Euro pro Stunde zahlen –, sind die Arbeitsbedingungen, vor allem auf studentisch organisierten Festivals, immer noch prekär. Oftmals scheitert das utopische Potenzial solcher Festivals weniger an den künstlerischen Arbeiten als an der performativen Praxis der Geschäftsführung, die wie keine andere auf solchen Festivals eine Wirklichkeit generiert, die sich konkret, materiell und monetär auswirkt.

Studentisch organisierte Festivals befinden sich also in einem Spannungsverhältnis zwischen dem eigenen Anspruch, sich gegen ästhetische und strukturelle (Arbeits-)Konventionen zu stellen, der eigenen Prägung durch solche Abläufe sowie den begrenzten finanziellen sowie personellen Ressourcen. „Im Kulturbetrieb wird oft erwartet, dass du dich kaputt machst. Wir haben versucht, das zu brechen, es ist aber nicht immer gelungen“, beschreibt auch Ulrike Wegener. Bleibt also die Frage, wie nachhaltig solche Festivals für die Künstler:innen, die Studierenden, das Organisationsteam und das Festival selbst sind. Das transeuropa- Festival versteht sich vor allem als Festival für Nachwuchskünstler: innen. Es soll Sprungbrett und europäische Vernetzungsstätte gleichzeitig sein. Eine Plattform für Gruppen bieten, die im Haifischbecken von Förderanträgen und Institutionen sonst untergehen würden. So haben unter anderen She She Pop, Thermoboy FK, VOLL:MILCH oder theater ASPIK beim transeuropa ihre Karriere gestartet. Die Krux, mit der sich jede Ausgabe wieder auseinandersetzen muss, ist: Es wurden Standards entwickelt, Zugänge und Strukturen geschaffen, Fehler reflektiert, die man dann nicht selber ausbessern kann, sondern das Festival wieder in andere Hände gibt. Dabei geht viel Wissen und Erfahrung verloren. Auf der anderen Seite gibt es nur wenige finanziell so stabil ausgestattete Festivals mit so freien Möglichkeiten, sich als junge:r Kulturschaffende:r auszuprobieren.

Und gerade darin liegt wohl auch das Potenzial solcher Festivals: Sie müssen sich nicht konstant von Jahr zu Jahr aus der jeweils letzten Ausgabe weiterentwickeln oder nach außen hin sich an und mit ihr messen. Sie sind ein Ort für Utopien, die alle drei Jahre wieder komplett umgeworfen und neu formuliert werden können. Jungen Kulturschaffenden, auch wenn sie nur begrenzte Vorerfahrungen besitzen, einen Raum zu geben, in dem sie ihre Ideen konkret machen und sich mit ihrer Umsetzbarkeit auseinandersetzen können, ist wegweisend. Denn diese Kulturschaffenden haben ihre Ideen schon einmal auf den Prüfstand gestellt. Wissen, was funktionieren kann und wie. Können reflektieren, woran sie gescheitert sind. Und können so die Kulturwelt progressiv mitgestalten – zumindest, wenn sie nicht wieder auf unbezahlter Praktikumsebene anfangen müssen. //

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