Theater der Zeit

Auftritt

Semperoper Dresden: In den Fängen der Schneekönigin

„The Snow Queen“ von Hans Abrahamsen – Inszenierung Immo Karaman, Musikalische Leitung Titus Engel, Bühne Arne Walther, Kostüme Nicola Reichert

von Alexander Keuk

Assoziationen: Theaterkritiken Sachsen Musiktheater Immo Karaman Staatsoper Dresden

 Haarscharf am Happy End vorbeigeschrammt? „The Snow Queen“ von Hans Abrahamsen in einer Inszenierung Immo Karamanin an der Semperoper Dresden.
Haarscharf am Happy End vorbeigeschrammt? „The Snow Queen“ von Hans Abrahamsen in einer Inszenierung Immo Karamanin an der Semperoper Dresden.Foto: Mark Schulze-Steinen

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Anfang Dezember verändert sich in den meisten Theatern schlagartig das Programm – statt auf Macbeth und Woyzeck trifft man in den bekannten Weihnachtsstücken auf Hänsel, Gretel oder Ebenezer Scrooge. Doch damit ist noch lange nicht die Harmonie unter'm Weihnachtsbaum hergestellt, denn viele dieser Stücke behandeln Gut und Böse ebenso wie menschliche Wärme und Kälte: die Hexe landet im Ofen, böse Geister müssen – meist erfolgreich – vertrieben werden. Hans Christian Andersen berühmtes Märchen „Die Schneekönigin“ ist eher im Bereich der Fantasy anzusiedeln und steckt voller Symbole und Deutungsmöglichkeiten. Doch schuf der Dichter einen direkten Zugang über die Natur und ihre winterlichen Wunder, was auch zu vielen bekannten Adaptionen des Stückes auf den Bühnen und im Film geführt hat. Der dänische Komponist Hans Abrahamsen brachte es 2019 in Kopenhagen als Musiktheater auf die Opernbühne – im gleichen Jahr gab es eine erfolgreiche Premiere an der Bayerischen Staatsoper in München.

Für die Neuproduktion an der Semperoper Dresden konnte Intendantin Nora Schmid den Regisseur Immo Karaman gewinnen, der schon in Graz mit ihr zusammenarbeitete und dort etwa „Morgen und Abend“ von Georg Friedrich Haas herausbrachte. Karaman hat in Dresden ein fantastisches Team an seiner Seite, mit dem er für Abrahamsens „The Snow Queen“ eine absolut stimmige visuelle und choreographisch bestimmte Welt erzeugt. Regung und Bewegung ist sein Hauptinteresse, doch Dramatik drückt sich hier nicht in Hektik und überbordenden Bildern aus, sondern in der Intensität von Langsamkeit.

Dazu kommen Dopplungen der Figuren oder Bilder, so wie auch Träume irrationale Ansammlungen oder Objekte erzeugen: Plötzlich steht nicht ein Schrank auf der Bühne, sondern fünf, Tee wird gleich von einer ganzen, etwas spooky anmutenden Damenchormannschaft serviert und der Bühnenhorizont wird wie in einem Tunnel erweitert. Dabei ist Karamans Darstellung des Märchens sowohl handlungskonform als auch recht traditionell – tatsächlich schneit es auch die meiste Zeit in den bewusst schnörkellos grauen, aber keinesfalls unheimlichen Bühnenraum von Arne Walther.

Am Ende ist das Zusammenspiel von Abrahamsens unglaublich dichter, intensiver Musik mit Karamans behutsam aufgebauten Tableaus, die nur das Nötigste sagen, aber eben auch für jeden Schneewirbel, für jede Angst oder jeden Schatten ein passendes Licht oder eine Körperhaltung finden, höchst überzeugend. Noch dazu hat der Komponist ein großes Gespür für Atmosphärisches, für Naturklänge und vor allem für die Eigenzeit der Geschichte, die ein bloßes Heruntererzählen fast unmöglich macht – manchmal hängt da ein Rhythmus aus dem vorigen Bild über, oder Abrahamsen beißt sich an einem Intervall fest, das wie ein Feststecken im Schnee nicht vorankommen will.

Diese Ideen sprühen aus allen Seiten der Partitur, und Dirigent Titus Engel, der ein umjubeltes Debüt am Haus gibt, gesteht gerne, dass die Musik leichter klingt, als sie komponiert ist. Abrahamsen arbeitet mit sehr vertrackten Rhythmen, um das Eis knarzen zu lassen oder der Schneekönigin ihre dunkle Würde zu verleihen. Das klingt aus dem Graben der Staatskapelle Dresden dennoch so schwerelos, als ob diese nie etwas anderes gespielt hätten. Und besonders intensiv wird das Erlebnis, wenn sich zur verzweifelten Suche von Gerda nach ihrem von der Schneekönigin vereisten Freund Kay eine einsame Melodie in höchsten Tönen beimischt, als wäre diese ebenfalls wie eine Flocke vom Himmel gefallen.

Eine große Entdeckung ist der glockenklare Sopran von Louise McClelland Jacobsen (Gerda), Valerie Eickhoffs Mezzosopran (Kay) entwickelt sich im Laufe des Stücks zu Ebenbürtigkeit. In mehreren Rollen des Märchens brillieren Christa Mayer, Simeon Esper und Georg Zeppenfeld – letzterer ist als Schneekönigin wie als Rentier kaum wiederzuerkennen, aber dieser Sänger kann diese Szene sogar auf einem einzigen Ton insistierend umwerfend spannend interpretieren.

Das letzte Bild wirkt – haarscharf am Happy End vorbeigeschrammt – wie ein seltsames Familienfoto: Wir schauen noch einmal auf alle Beteiligten, das Bett, den Schrank, den Schnee. Ganz kurz bleibt ein Zweifel, ob wir das wirklich so stehen lassen können, aber dann ist das Stück zu Ende. Ein Beispiel von vielen kurzen, starken Momenten dieser Oper, die als vor allem durch Titus Engels gutes Gespür für den musikalischen Fluss auch als Ganzes nie an Spannung verliert. Das ist starkes, zeitgenössisches Musiktheater, und es gab in Dresden einmütigen Jubel für Dirigent, Regieteam und Sängerensemble, aber vor allem für den anwesenden Komponisten. Die meisten Folgeaufführungen sind bereits ausverkauft.

Erschienen am 12.12.2025

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