Schweiz
Schweizer Theaterleben während der Hitlerzeit
von Erwin Reiche
Erschienen in: Theater der Zeit: Zeittheater oder Theater der Zeit? (07/1946)
Assoziationen: Theatergeschichte Schweiz
Grundsätzliches ist vorauszuschicken und damit bereits Wesentliches vom Inhalt dieser Betrachtungen vorwegzunehmen.
Die Schweiz lebt inmitten großer Nationen und Kulturen als ein kleiner, föderativer Binnenstaat, dessen regierende und herrschende finanzielle Mächte unabänderlich auf das Banner einer ewigen Neutralität weisen und bestrebt sind, die überkommenen Traditionen jeder Art zu wahren. Die tatsächlichen Gegebenheiten und Zwangsläufigkeiten hiermit zu vereinen, war und ist kaum möglich. Unmöglich war und ist der vielfältig mit dem Ausland durch Sonderinteressen verbundenen, viersprachigen Eidgenossenschaft, als bürgerlich-kapitalistische Demokratie eine unabhängige Außen- und Kulturpolitik durchzuführen. Auch auf dem Gebiet des Theaters hat sich das seit 1933 lebhaft gezeigt.
Das andere ist das: Gottfried Keller hat ausgesprochen, sein Heimatland sei ein Holzboden für die Kunst. Die Geschichte der stehenden Bühnen der Schweiz reicht nicht weit zurück und ist wenig ergiebig. Aber Dilettantentruppen und -gruppen tummeln sich in Stadt und Land und führen alles auf, was ihnen unter die Finger kommt, und spielt man in einem Stadttheater Schillers Tell, so sehen die Zuschauer mit kritischer Kennermiene zu, wen (so scheint es) jeder unter ihnen schon einmal jede Rolle in dem Stück dargestellt hat. Größere und „repräsentative“ Theater in der deutschsprachigen Schweiz gibt es sieben: die Stadttheater von Bern, Basel, Luzern, St. Gallen,...