In den siebziger Jahren in Paris haben mir Inszenierungen von Pina Bausch, Bob Wilson, Tadeusz Kantor … unvergessliche Theatereindrücke bereitet und Lust gemacht, mich einzulassen auf das Abenteuer, eine Sprache der Bewegungen, der szenischen Installationen, des Lichtes, der Musik zu erschaffen, anstatt wie geplant Architektin zu werden. Ich bin auf keine Theaterschule gegangen, ich habe nicht gelernt, was zu tun ist und wie – und was zu lassen ist. Das erlaubte mir, in totaler Freiheit meine eigene szenische Sprache zu finden und einige grundlegende Prinzipien meiner Arbeit zu entwickeln:
1. Nichts machen, das mir nicht wirklich am Herzen liegt. Mit anderen Worten, es muss ein Thema oder ein Problem berühren, das für mich lebenswichtig ist.
2. Sich intensiv auseinandersetzen mit vielen Fragen, die mit dem Thema oder der gewählten Geschichte verbunden sind. Texte, Fotos, Musik, Bilder … zusammentragen, die damit in Resonanz treten.
3. Kreieren eines Inszenierungskonzepts, das notwendige Grenzen beinhaltet – und sich an diese Grenzen halten.
4. Sorgsam die Mitwirkenden des Projekts auswählen. Alle müssen bereit sein, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen.
5. Einplanen mehrerer Perioden der Recherche und der Improvisation, in denen das gesamte Team anwesend ist, bevor die letzten vier Wochen der Fertigstellung beginnen. Das Projekt gewinnt organisch an Substanz, auch in den Zeiten zwischen den Proben, wenn man allein ist, jeder für sich. In diesen Momenten der Ruhe bildet die Inszenierung nach und nach Wurzeln in unseren Seelen. Unsere Träume füllen sich mit Bildern, Handlungen, Musik … Bücher tauchen, scheinbar zufällig, in unseren Händen auf. Dem Zufall ist große Bedeutung beizumessen!
6. Jedes szenische Element erzählt. Dies sei nicht allein den Worten zugebilligt. Das Licht, die Musik, der Klang, die Dinge, das Bühnenbild, die Kostüme, die Choreographie, die Bewegungen und Aktionen der Darsteller … das alles spricht. An all diesen Elementen muss simultan gearbeitet werden. Auf diese Weise verflechten sie sich schließlich miteinander und werden ein untrennbares Ganzes.
7. Nicht im Voraus entscheiden, was passieren soll. Improvisieren und all das speichern, was uns verwundert und uns Fragen stellt.
8. Offen sein für alles Unvorhergesehene, das die Probenarbeit durcheinanderbringt. Darin kann sich ein unerwarteter szenischer Lösungsansatz verbergen.
9. Alles hat eine Konsequenz. Nicht den Weg aus den Augen verlieren, der uns von der Absicht einer Handlung zu ihrer Wirkung führt.
10. Es muss für jede Inszenierung ein Schlüssel gefunden werden, der den Zuschauern die besondere Kunstsprache der Inszenierung zugänglich macht und es ihnen ermöglicht zu spüren: Das, was sie sehen, betrifft sie. Selbst ein sehr abstraktes Theaterspiel ist leicht zu dechiffrieren. Letztlich geht es darum, die Sinne der Zuschauer zu berühren, ihre Körper von der ersten Sekunde an mit dem zu verbinden, was auf der Bühne passiert.
11. LESS IS MORE. Alles entfernen, was überflüssig ist. Sich so weit als möglich der Essenz des Themas nähern.
12. Sorgfältig arbeiten. Denn die Schönheit verbirgt sich in den Details.
13. Niemals erklären. Die Inszenierung ihren eigenen Rhythmus atmen lassen und dem Publikum erlauben, an dem Akt der Schöpfung teilzunehmen, indem ihm die Freiheit seiner eigenen Version und seines eigenen Verständnisses dessen, was es sieht, gegeben wird.
14. Niemals eine Inszenierung für Erwachsene oder für Kinder erschaffen, sondern Inszenierungen, die ab einem bestimmten Alter von allen gesehen werden können.
Ich hatte die unglaubliche Chance, meine Theater-Familie zu finden. Was für ein Glück, welch' Privileg, Kollegen und Kolleginnen getroffen zu haben, mit denen ich die gleiche Bühnensprache teile. Es ist wie ein Nach-Hause-Kommen, dorthin, wo man sich gut fühlt, wo man einander versteht, ohne sich erklären zu müssen. – Übersetzung aus dem Französischen: Silvia Brendenal, Einleitung: Anke Meyer. – www.catherinepoher.dk
1 Dazu sei auf die neueste Arbeit mit Aaben dans, die szenische Installation „Spraekker/Cracks“ hingewiesen: https://abendans.dk/spraekker/?lang=en
2 Kirsten Dahl, Catherine Poher: … Og på den 8. dag begyndte de at drømme. E-Book, 2020. Unter www.ogpaden8dag.com frei zugänglich.