Radikal weiblich?
Theaterautorinnen heute
von Christine Künzel
Erschienen in: Recherchen 72: Radikal weiblich? – Theaterautorinnen heute (12/2009)
Assoziationen: Sprechtheater Dramatik
Im Rahmen der zweiten Welle der feministischen Frauenbewegung und der Diskussion um eine »weibliche Ästhetik« erschien es Ende der achtziger Jahre mehr als überfällig, den – wenigen und damals noch als Ausnahmeerscheinung geltenden – Gegenwartsdramatikerinnen eine eigene Publikation zu widmen, wie Anke Roeder sie mit ihrem Interview-Band Autorinnen: Herausforderungen an das Theater 1989 vorlegte. Heute, etwa zwanzig Jahre später, sieht sich ein solches Projekt bereits diversen Legitimationsproblemen ausgesetzt. Schnell wird unterstellt, dass ein Band, in dem ausschließlich Dramatikerinnen und ihre Werke vorgestellt werden, den für das Theater schreibenden Frauen in verpönter essentialistischer Manier nur wieder einen Sonderstatus zuschreibe, der sich von ihrem biologischen Geschlecht ableite. In der Tat könnte man angesichts der großen Zahl von Theaterautorinnen und ihrer Präsenz auf den deutschsprachigen Bühnen und in Theaterzeitschriften davon ausgehen, dass ein solches Projekt heute mehr als überflüssig sei. Inzwischen gibt es eine Reihe junger Dramatikerinnen, deren Stücke mindestens so populär sind wie die ihrer männlichen Kollegen. Man denke beispielsweise an Dea Loher, die momentan als eine der erfolgreichsten Theaterautorinnen, als Nachfolgerin einer Theatertradition von Brecht bis Heiner Müller gehandelt wird.
Warum also ein solches Unternehmen im Zeitalter des Postfeminismus und der Gender-Theorien? Als ich im Wintersemester 2006/07 an der Universität Hamburg ein Seminar zum Thema »Postfeministisches Theater? Junge Theaterautorinnen und ihre Stücke« angeboten hatte, musste ich zu meinem großen Bedauern feststellen, dass es – außer den Theaterkritiken und dem einen oder anderen Interview in den Theaterfachzeitschriften – so gut wie keine Sekundärliteratur, geschweige denn eine umfassendere Studie zu der jüngeren Generation der Autorinnen gab. Darüber hinaus bestand mein Interesse darin, die Fragestellung von Anke Roeders Gesprächen mit der Generation der explizit feministischen Theaterautorinnen weiterzuspinnen und zwanzig Jahre später zu fragen, ob Autorinnen denn immer noch eine »Herausforderung« für das Theater darstellen. War die ›ältere‹ Autorinnengeneration, die Roeder versammelte und befragte – darunter Gerlind Reinshagen, Friederike Roth, Elfriede Müller, Gundi Ellert und die inzwischen Nobelpreis-gekrönte Elfriede Jelinek –, zunächst noch wesentlich stärker darauf konzentriert, sich mit Fragen einer »weiblichen (Theater-)Ästhetik« auseinanderzusetzen und die Probleme und Belange von Frauen bzw. Szenen des Geschlechterkrieges auf die Bühne zu bringen, so scheinen sich die jüngeren Autorinnen auf den ersten Blick weder für feministische Theorien und Ansprüche noch für typische »Frauenthemen« bzw. eine Auseinandersetzung mit dem Thema »Geschlechterdifferenz« zu interessieren. Diese Haltung ist durchaus verständlich in einer Zeit, da »Feminismus« – besonders in Deutschland – zu einem Schimpfwort mutiert ist und zu einem »Diskurs, wie er leiser, verschämter kaum sein könnte.«
Dabei wird gern übersehen, dass wesentliche Veränderungen des Theaters – insbesondere was den Status und die Form von Theatertexten betrifft –, die heute als Errungenschaften des so genannten postdramatischen Theaters reklamiert werden, wie etwa eine nicht-aristotelische Dramaturgie, ein anti-mimetisches Theater etc., auf Konzepte und Theatertexte einer feministischen Theaterästhetik zurückgreifen. Für die Parallelen zwischen einem feministischen und dem postmodernen bzw. postdramatischen Theater spricht auch die Tatsache, dass eine Autorin wie Elfriede Jelinek mit ihrer konsequenten Absage an ein Theater der »Verkörperung«, heute mit ihren Stücken auf den Bühnen präsenter ist denn je.
Anliegen der vorliegenden Publikation ist keineswegs eine Wiederaufnahme der Diskussion um eine »weibliche Sonderästhetik« im Sinne eines »weiblichen Schreibens« oder vermeintlich »weiblicher Themen«. Ein solcher Ansatz wäre völlig verfehlt, sind es doch gerade prominente männliche Theaterautoren, die verstärkt Gender-Theorien und -Themen auf die Bühne bringen – wie etwa René Pollesch, der aufgrund seiner gendertheoretisch aufgeladenen Diskursstücke zuweilen gar als »Feminist« bezeichnet wird; oder Thomas Jonigk, der wohl die radikalsten Stücke zum Thema des »sexuellen Missbrauchs« vorgelegt hat; oder Harald Kislinger, dessen Stück Höllenschlund mit seiner männerfressenden Protagonistin geradezu wie die Persiflage auf einen feministischen Theatertext wirkt.
Es geht bei diesem Projekt weder um eine geschlechtsspezifische ästhetisch-thematische Zuschreibung noch um eine Wiederaufnahme der Diskussion um eine Sonderkategorie weiblicher Autorschaft. Das klingt paradox, beschreibt aber eben genau jenes Dilemma, in das man sich mit der Konzeption eines solchen Bandes notwendigerweise begibt. Das Dilemma besteht darin, dass man sich allein durch die Tatsache, dass man sich auf weibliche Theaterautoren konzentriert, dem Verdacht eines essentialistisch-biologistischen Konzeptes aussetzt. Es hätte durchaus die Möglichkeit bestanden, sich mit dem rein quantitativen Aspekt zufriedenzugeben und diesen grundsätzlich positiv im Sinne eines Zeichens der Emanzipation, der Gleichberechtigung und auch der »Normalität« von Theaterautorinnen auf deutschsprachigen Bühnen zu bewerten. Wurde es nicht gerade als Fortschritt gefeiert, dass geschlechtsspezifisch geprägte Wahrnehmungen in der Theaterpraxis obsolet geworden sind, und dass Frauen nicht darüber sprechen müssen, dass sie Frauen sind, sondern sich über ihre Theaterarbeit definieren?
Um diese Entwicklung in all ihren (positiven und negativen) Konsequenzen würdigen zu können, bedarf es jedoch einer doppelten und in gewisser Weise paradoxen Perspektive, die dem Konzept des »schielenden Blickes« entspricht, den Sigrid Weigel der Frau zuschreibt, und der sich durch eine doppelte Bewegung auszeichnet, indem Frauen zugleich an der männlichen Kultur beteiligt und von dieser ausgegrenzt sind. Um die Frage nach der Situation von Theaterautorinnen im deutschsprachigen Raum stellen zu können, musste das Risiko eingegangen werden, dass das Projekt unter Umständen als Bestätigung bzw. Perpetuierung der Sonderkategorie »Frauenliteratur« missverstanden werden würde.
Die gesteigerte Präsenz von Dramatikerinnen sagt allein ja noch nichts darüber aus, wie die Arbeitsbedingungen sind, ob sie dasselbe verdienen wie ihre männlichen Kollegen, ob sie an bedeutenden Häusern von prominenten Regisseuren oder Regisseurinnen inszeniert und gefördert werden, oder ob sie in ihrer Arbeit ebenso ernst genommen werden wie männliche Theaterautoren, und ob ihre Werke den Uraufführungswahn, der derzeit an den Theatern herrscht, überleben und ihre Stücke auch in fünf bis zehn Jahren noch gespielt werden. Man sollte sich von der rein zahlenmäßigen Entwicklung nicht blenden lassen, sondern das Ganze zugleich auch etwas kritischer betrachten. Brigitte Landes konstatierte in einem Statement von 2001, dass das »Frauenproblem« am Theater gewissermaßen tabu sei: »Die Autorinnen selbst zeigen sich gern niedlich, indem sie, und zwar seit Jahrzehnten, keinerlei Frauenproblem kennen, wie es alle zehn Jahre in Theater heute nachzulesen ist.«
»Sollten Frauen, gerade weil sie schon eine gute Strecke des Wegs in die Männerdomäne zurückgelegt haben, sich dem Thema nicht offensiv stellen? Die Verhältnisse definieren und deuten?« Eben diese Frage sollte den Ausgangspunkt für die Gespräche mit den Autorinnen bilden, die hier vorgestellt werden. Mit einer solchen thematischen Zuspitzung grenzt sich die vorliegende Sammlung von Gesprächen und Essays deutlich von anderen Publikationen zu GegenwartsautorInnen ab, die eine mehr oder weniger beliebige Zusammenstellung von Kurzbeiträgen zu TheaterautorInnen bieten, die gerade populär sind. In Anlehnung an Roeder liegt der Schwerpunkt hier ganz deutlich auf den Gesprächen mit den Autorinnen, in denen diese unter anderem zu ihrer Einstellung gegenüber der These einer »weiblichen Ästhetik«, zu feministischen Theorien und Theaterkonzepten, zur Thematisierung der Geschlechterdifferenz in ihren Stücken, zu ihren Vorbildern, aber auch zu ihren ganz persönlichen Zugängen zum Theater und zum Schreiben befragt wurden.
Dass ein solches Konzept nicht bei allen Autorinnen, die in dem Band vorgestellt werden sollten, auf Verständnis bzw. Akzeptanz stoßen würde, war vorauszusehen, da es deutlich zu spüren ist, dass jüngere Theaterwissenschaftlerinnen, Regisseurinnen, Dramaturginnen, Schauspielerinnen und Autorinnen im Zeitalter postmoderner Gender-Diskurse mit der Kategorie »weiblich« ausgesprochen »auf Kriegsfuß stehen« und mit feministischen Texten und Theorien in der Regel eher wenig anfangen können. Dabei war im Vorfeld klar, dass die Autorinnen mit der thematischen Ausrichtung des Bandes durchaus kritisch umgehen konnten bzw. sollten. Es ging ja tatsächlich darum herauszufinden, ob sich etwas bzw. was sich verändert hat und welche Probleme trotz allem Anschein einer Gleichberechtigung möglicherweise doch noch von den Autorinnen wahrgenommen werden.
Trotzdem ist es mehr als bedauerlich, dass zwei der bekanntesten und meistgespielten Autorinnen in diesem Kontext nicht vertreten sein wollten: Dea Loher und Anja Hilling. Dea Loher hat mir gegenüber zumindest erläutert, dass sie »auch beim besten willen keinen inhaltlichen anknüpfungspunkt« sehe, »der für uns beide ergiebig sein würde«. Es sei »ein zu integraler und selbstverständlicher bestandteil [ihrer] arbeit, als daß [sie sich] quasi in einer extra-abteilung darüber gedanken machen würde«. Das ist ein Standpunkt, den ich durchaus akzeptieren kann, und ich danke Dea Loher für diese klaren und offenen Worte.
im übrigen hat praktisch alles, was zu dem thema wichtig und sagenswert ist, schon virginia woolf gesagt, u. a. den satz, den man nicht groß genug über alle diskussionen dieser art schreiben kann: »Alles ist möglich, wenn das Frausein aufgehört hat, eine beschützte Tätigkeit zu sein ...« (Ein Zimmer für sich allein, chapter II, 1928). ein außerordentlich weises und praktikables lebensmotto, wie ich finde. (Dea Loher)
Was Anja Hilling betrifft, so lässt sich über den Grund für die Ablehnung nur spekulieren, da sie sich mir gegenüber dazu nicht geäußert hat. Dass sie sich kaum für politische Themen und Fragen interessiert, sondern bei ihren Stücken eher aus dem privaten Umfeld schöpft, hat die Autorin in Interviews mehr als deutlich gemacht. Daraus kann man schlussfolgern, dass sie sich wahrscheinlich auch für Fragen der Geschlechterpolitik nicht sonderlich interessiert. Trotz allem leben ihre frühen Stücke von starken und zugleich komischen Frauenfiguren – so etwa Frau Schlüter in Mein junges idiotisches Herz oder das lesbische Pärchen Melanie und Coco in Monsun. Aber auch in diesem Fall ist die Entscheidung der Autorin zu respektieren.
Es wäre in der Tat ein unglaublicher und wünschenswerter Fortschritt, wenn Frauen nicht mehr darüber sprechen müssten, dass sie Frauen sind, sondern sich allein über ihre Arbeit am Theater definieren könnten. Doch die Gespräche mit den Autorinnen geben mir Recht in meiner Annahme, dass sich am Theater zwar einiges zum Positiven verändert hat in puncto Geschlechterhierarchie, dass sich die Probleme aber auf andere, subtilere Ebenen verschoben haben und durchaus noch virulent sind. So kann man einerseits Dea Loher zustimmen und konstatieren, dass es sein mag, dass die Differenz männlich/weiblich eines Tages möglicherweise nicht mehr sinnvoll ist, muss aber zugleich einwenden, dass man ihr in der aktuellen Situation aber leider (noch) nicht (ganz) entgehen kann.
Man tue zwar so – so Tine Rahel Völcker – als sei das Geschlechterverhältnis kein Problem mehr, doch bestätigen die meisten Autorinnen in den Gesprächen, dass das Theater nach wie vor eine »Männerbastion« geblieben ist – auch wenn sich vieles für Frauen zum Positiven verändert hat. Das äußert sich nicht allein in der unterschiedlichen Bezahlung von männlichen und weiblichen Kollegen, sondern betrifft auch die Frage, wieweit denn die Autorinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen kommen, an welchen Theatern und wie oft sie gespielt bzw. nachgespielt werden. Einige der Autorinnen beklagen eine zunehmende Konkurrenz zwischen Autorin und Regisseur bzw. Regisseurin um die Autorschaft eines Werkes in der (Ur-)Aufführung bzw. Inszenierung. Das ist zwar ein Problem, das auch männliche Autoren treffen kann, aber möglicherweise nicht in dem Ausmaß. Diesem Eindruck entspricht auch die Tatsache, dass es die Personalunion von Autor und Regisseur bei den Autorinnen seltener gibt als bei den männlichen Kollegen, die sich mit dieser Kombination auch sehr viel erfolgreicher als Label verkaufen. So sei denn auch der Glamour- und Selbstvermarktungsfaktor bei Autorenregisseuren wie René Pollesch, Fritz Kater alias Armin Petras oder Falk Richter wesentlich höher als bei ihren weiblichen Kolleginnen (Sabine Harbeke, Meike Hauck, Gesine Danckwart oder Nino Haratischwili) – vermutet Kathrin Röggla. Einige der Autorinnen sind sich stets bewusst, dass sie als Frau schreiben, und reflektieren das in ihren Stücken. Einerseits gibt es einen Impuls, starke Frauenrollen zu schaffen und weibliche Figuren in den Vordergrund zu rücken, andererseits vermutet Sabine Harbeke, dass Stücke, in denen männliche Protagonisten im Vordergrund stehen, häufiger gespielt werden.
Nach wie vor kann man in der Wahrnehmung eines Textes von einem Autor oder einer Autorin nicht von einer Gleichberechtigung sprechen: »[...] die Wahrnehmung ändert sich nicht. Gleich wahrgenommen zu werden, beurteilt zu werden, heißt lange nicht, gleich zu sein.« Die Kombination »jung« und »weiblich« wird sehr schnell mit bestimmten Klischees verbunden – das beklagen besonders die ganz jungen Autorinnen (u. a. Rebekka Kricheldorf und Gerhild Steinbuch). Es herrscht nach wie vor ein Schubladendenken vor, das Weiblichkeit mit einem Hang zum Poetischen und zur Zerbrechlichkeit identifiziert. Gleichzeitig werde die Intellektualität von jungen Autorinnen unterschätzt, konstatiert Rebekka Kricheldorf, die bei einer Leseprobe ihres Stückes ganz im Sinne des Geschlechterklischees für eine Hospitantin gehalten wurde.
Und bei aller Skepsis gegenüber feministischen Ansätzen und Theorien gibt es sie noch: Autorinnen, die sich dem Feminismus und seinen Zielen verbunden fühlen. Für Kathrin Röggla ist ein feministischer Ansatz grundsätzlich Teil ihrer Arbeit, und sie ist auch eine der wenigen Autorinnen, die sich explizit als »Feministin« bezeichnen. Sabine Harbeke merkt an, dass sie sich durchaus einer Tradition der feministischen Literatur verpflichtet fühlt – aber eben nicht ausschließlich. Und die georgische Autorenregisseurin Nino Haratischwili verweist zu Recht darauf, dass es ohne die Generation der feministischen Theaterautorinnen die jüngere Autorinnengeneration wohl kaum geben würde – zumindest nicht in dieser großen Zahl. Ganz im Sinne der ›älteren‹ feministischen Generation von Theaterfrauen konstatiert Tine Rahel Völcker ganz nüchtern, dass die feministische Revolution im Theater bisher ausgeblieben sei. Vielleicht wäre es an der Zeit, »die alberne Schamhaftigkeit ob der Bezeichnung ›Feminismus‹ wieder abzulegen«? Zumal der Begriff »Postfeminismus« die jüngeren Autorinnen auch nicht wirklich zu überzeugen scheint, wie man den Gesprächen entnehmen kann.
Das Problem mit bestimmten Begrifflichkeiten spiegelt sich auch im Titel des vorliegenden Bandes wider, der auf eine paradoxe Situation hinweisen soll: Einerseits sind Begriffe wie »Feminismus« und »feministisch« verpönt – wie auch die Begriffe »Weiblichkeit« und »weiblich« –, auf der anderen Seite fehlt den Gender-Theorien wie dem Postfeminismus ein klares Profil (Haratischwili), so etwas wie ein »Stachel«, ein Quäntchen an konstruktiver aggressiver Energie, den der Begriff des Feminismus noch transportiert(e). »Radikal« und »weiblich«, zwei Begriffe, die sich den tradierten Geschlechterstereotypen entsprechend gegenseitig ausschließen, beziehen sich zugleich auf das gewissermaßen unmögliche bzw. paradoxe Ziel, das mit diesem Band verbunden ist: Die problematische, aber notwendige Sonderbetrachtung von Theaterautorinnen und ihren Werken zugunsten einer Erkenntnis über die Veränderung der Situation schreibender Frauen am Theater und noch bestehende Probleme, was eine Gleichberechtigung betrifft.
»Die Zukunft des Theaters ist weiblich«, prophezeite der Direktor der Theaterakademie Hamburg, Michael Börgerding, anlässlich der Veranstaltungsreihe »Weibsstücke«, bei der sieben Regiestudentinnen im Februar 2006 ihre Abschlussinszenierungen vorstellten. Angesichts der zunehmenden Zahl an Dramatikerinnen könnte man also in Euphorie ausbrechen und dies für das Zeichen eines zunehmenden Maßes an Gleichberechtigung nehmen. Es ist nur die Frage, was es zu bedeuten hat, wenn das Theater nun gewissermaßen den Frauen überlassen wird bzw. werden soll. Handelt es sich bei dieser Entwicklung um eine Aufwertung der künstlerischen Leistungen von Frauen oder um eine Abwertung des Theaters in seiner Bedeutung als kulturelle Institution, wie es in anderen Bereichen der Fall war bzw. ist? Das wird sich in der näheren Zukunft zeigen müssen. Ich neige eher dazu, die skeptische Haltung von Ulrike Haß zu teilen:
Ich habe eine ganz ketzerische These dazu: Ich habe die These, dass Frauen in den Bereichen Wissenschaft, also Universitäten, und Politik und wahrscheinlich auch im Theater nur in den Bereichen zugelassen werden, die gesamtgesellschaftlich immer weniger wichtig werden.
Unabhängig von derartigen Prophezeiungen und Hypothesen ist zu beklagen, dass es im deutschsprachigen Raum immer noch keine wirkliche Tradition gibt, auf die sich Dramatikerinnen beziehen bzw. in die sie sich einschreiben könnten (so auch Harbeke im Gespräch). Diese erste umfangreichere Sammlung von Beiträgen und Interviews zu der jüngeren Generation der Theaterautorinnen soll zum einen so etwas wie einen Anknüpfungspunkt an bereits vorliegende Bände bieten und zugleich die Funktion eines zentralen Nachschlagewerkes zur Dramatik der jüngeren Generation der Theaterautorinnen erfüllen. Darüber hinaus liefern die umfangreichen Gespräche eine Bilanz der Selbsteinschätzung und Fremdwahrnehmung der beteiligten Autorinnen.
Das ist insbesondere in einer Zeit von Bedeutung, da sich (nicht nur weibliche) Theaterautoren einem massiven Druck ausgesetzt sehen, der darin besteht, dass bestimmte Autorinnen für einen relativ kurzen Zeitraum so etwas wie Berühmtheit erlangen, dann aber ganz schnell in Vergessenheit geraten – ex und hopp! Im Theater der Zeit-Heft vom Oktober 2007 beklagten Theaterautorinnen und -autoren, dass ihre Stücke meist nur die Uraufführung erlebten, es aber kaum zu einer Zweitaufführung komme. Aus der (literaturhistorischen) Erfahrung wissen wir, wie mühsam es ist, die Bedeutung von Autorinnen und ihren Dramen im Nachhinein (wieder) in die Literaturgeschichte einzuschreiben – das hat nicht zuletzt der Versuch der Wiederentdeckung von Dramatikerinnen und ihren Stücken aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert gezeigt. Mit diesem Band soll zumindest der Versuch unternommen werden, dem Prinzip des Ex und Hopp entgegenzutreten und so etwas wie eine vorläufige Bestandsaufnahme weiblicher Dramatik in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts vorzulegen. Da es nicht zuletzt darum geht, eine Verbindung zu der »älteren« Generation der Theaterautorinnen herzustellen, die Roeder befragt hatte, und mögliche Brüche und Kontinuitäten in der Tradition deutschsprachiger Theaterautorinnen sichtbar zu machen, werden die Autorinnen hier nicht in alphabetischer Reihenfolge, sondern in chronologischer Folge nach dem Geburtsjahr vorgestellt – immerhin haben wir es bereits mit zwei Generationen von Dramatikerinnen zu tun, die hier zusammentreffen.
Bedanken möchte ich mich bei den Theaterautorinnen, die sich für Gespräche im Rahmen dieses Projektes zur Verfügung gestellt haben, und auch bei den Autorinnen und Autoren der Beiträge, die meine Wünsche bezüglich der Interviews äußerst einfühlsam umgesetzt haben und die Texte neben ihrer beruflichen Tätigkeit als Dramaturg bzw. Dramaturgin, Regisseurin, Schauspielerin, Dozentin, Theaterkritikerin mit großem Engagement verfasst haben.