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Meine Erinnerungen an Jürgen Holtz
von B. K. Tragelehn
Erschienen in: Theater der Zeit: Zwillingsbruder eines Bürgerkriegs – Wajdi Mouawad und der Libanon (09/2020)
Assoziationen: Akteure Berliner Ensemble
Zuerst auf der Bühne gesehen habe ich Jürgen Holtz 1963 im Theater von Stralsund, das von Adolf Dresens Greifswalder Ensemble bespielt wurde. In einer Nestroy-Komödie spielte er eine winzige Rolle, eine kleine Episode. Ein majestätischer Oberkellner wedelt mit einer großen weißen Serviette einen lästigen Gast von seinem Platz. Eine Szene, ebenso kurz wie vollendet: das, was der Theaterjargon eine Kiste nennt. Dann sah ich ihn in Greifswald als Hamlet. Dresen hatte das Stück mit seinem Studienkollegen Maik Hamburger neu übersetzt und zum 400. Shakespeare-Geburtstag 1964 inszeniert. Übersetzung und Aufführung zogen heftige Angriffe auf sich. Dresen hatte die Auslegung der Hamletgeschichte in Brechts „Organon“ gelesen, bei der der einleitende Satz, der die Lesart auf die Zeitumstände bezog, gern ignoriert wurde, weil die DDR-Kulturpolitik, gut sozialdemokratisch, auf dem Ewigkeitswert von Klassikern bestand. Im Windschatten der Auseinandersetzung konnte ich danach an „Volpone“, dem Stück von Shakespeares Ensemblekollegen Ben Jonson, einigermaßen geschützt arbeiten. Es war für mich, nach drei Jahren Berufsverbot, wieder die erste Theaterarbeit. Und es war meine erste Zusammenarbeit mit Holtz. Wie der große Shakespearetragöde James Burbage im Londoner Globe, spielte Holtz Hamlet und Volpone nacheinander. Wir spielten das Original, auch neu übersetzt, und nicht die auf dem deutschen Theater eingebürgerte Verballhornung...