„Zeige deine Wunde …“ Diese Empfehlung von Joseph Beuys (ein allegorisches Heilungsversprechen für die Krankheit der Gesellschaft) könnte auch das Credo des Bandes „Christoph Schlingensief und die Avantgarde“ der gleichnamigen Forschungsgruppe gewesen sein, deren Beiträge zu einer Tagung an der Universität Bielefeld im Jahr 2017 nun gesammelt im Wilhelm Fink Verlag erschienen sind.
Denn da ist zunächst einmal das Paradox, dass Peter Bürger in seiner 1974 erschienenen, wirkmächtigen „Theorie der Avantgarde“ die künstlerischen Avantgarden schon für gescheitert erklärt hatte, sowie der Fakt, dass nach den historischen und Neo-Avantgarden des 20. Jahrhunderts auch keine mehr in Erscheinung getreten beziehungsweise als solche anerkannt worden sind – vielmehr die Frage im Raum steht, ob es heute überhaupt noch Avantgarden geben kann. Noch erstaunlicher aber ist, dass sich hier wissenschaftlich diesem Thema gewidmet wird, nachdem Paul Mann 1991 mit seiner Schrift „The Theory-Death of the Avant-Garde“ gerade dem Theoriediskurs vorgeworfen hatte, die Avantgarde beerdigt zu haben. Nach ihrem „Theorie-Tod“ könne sie nur noch als Gespenst, unsichtbar, im Untergrund herumspuken. Christoph Schlingensief begann zu arbeiten, als die Avantgarde demnach lange tot war. Er selbst starb 2010 an einer Krebserkrankung, die Thema vieler Werke werden sollte. Zwei Tote also, aber dieses Buch ist glücklicherweise kein Totengespräch....