Theater der Zeit

Aktuelle Inszenierung

„Ich verstehe ja nichts von Wirtschaft“

Am Theater Bremen feierte Elfriede Jelineks neues Stück „Aber sicher!“ seine Uraufführung

von Sebastian Kirsch

Erschienen in: Theater der Zeit: Wölfin im Schafspelz – Die Schauspielerin Constanze Becker (05/2013)

Assoziationen: Sprechtheater Bremen Theaterkritiken Theater Bremen

Anzeige

Anzeige

Seit dem Beginn der sogenannten Finanzkrise – was, wie sich mittlerweile immer deutlicher zeigt, eine irreführende Titulierung ist, da sie eine Zeitweiligkeit dessen suggeriert, was sich schon längst als Dauerzustand eingerichtet haben dürfte –, seit Ende 2008 also verarbeitet Elfriede Jelinek das abenteuerliche Marktgeschehen zu beziehungsreichen „Wirtschaftsstücken“, deren schnelle Folge bislang so wenig abgerissen ist wie die fortgesetzten Hiobsbotschaften über Zusammenbrüche, Rettungsschirme, vergemeinschaftete Schuldenberge und heimliche oder offene Enteignungen von Spareinlagen. „Irgendwie bilden meine Wirtschaftsstücke“, so Jelinek, „in denen ich an allen Ecken und Kanten noch eine kleine Hundehütte oder einen etwas größeren Schuppen anbaue (für die Geräte, mit denen man den Kapitalismus bekämpfen könnte, aber im geeigneten Moment klemmt dann das Schloss), ein verwirrendes Gebäude, an dem immer weitergebaut wird, ohne dass man je drin wohnen könnte, denn ich verstehe ja nichts von Wirtschaft.“

Nun könnte man die Frage stellen, wer denn derzeit überhaupt (noch) etwas von Wirtschaft versteht, denn es sind ja gerade die angeblich kundigen „Experten“, die von den anscheinend unübersehbaren Dynamiken der heutigen Finanzmärkte überforderter scheinen denn je. Fest steht jedenfalls, dass Jelineks Schreiben als Form in einer sehr spezifischen Weise in der Lage ist, auf die aktuellen Verwerfungen zu antworten und sie zu verschriftlichen: So chaotisch, und darin zugleich doch extrem präzise strukturiert, so sehr einer Logik der Oberflächen folgend, so nachgerade „fraktal“ wie die Kapitalbewegungen selbst ist schließlich auch ihre Sprache, die einfach nicht aufhören will, sich zu sprechen und zu schreiben. „Aber sicher!“, im März in Bremen uraufgeführt und bis zum Premierentermin immer neu überarbeitet und erweitert, besteht dabei aus gleich vier „Hundehütten und Schuppen“, mit denen man arbeiten kann (aber nicht drin wohnen). Speziell im ersten und längsten Teil übermalt Jelinek die Auswirkungen der Bankenkrisen mit Sophokles’ „Ödipus“ (oder umgekehrt) und reformuliert in der Engführung jener Verwüstungen, die die Pest mit sich bringt, und jener, die das verrückt spielende Finanzkapital anrichtet, die Frage nach dem Gegenstand von Ödipus’ Schuld oder Verfehlung.

Der zweite „Akt“ (Jelinek) hingegen ist Rosa Luxemburg gewidmet und nimmt sich wie ein Echo oder eine ferne Erinnerung an eine längst vergangene Epoche politischer Kämpfe aus: Ausgangspunkt ist das makabre Rätselraten um jene Wasserleiche, die 2007 in der Berliner Charité gefunden und für die Überreste der ermordeten Aktivistin gehalten wurde (bis man 2010 herausfand, dass es sich doch nicht um Luxemburg handelte). In Teil drei kommt eine Seherstimme zu Wort, die ihre falschen Prophezeiungen beklagt (und in der sicher auch Jelinek als Autorin selbst mitschwingt) – falsch insofern, als sie dort ein apokalyptisches Ende vermutete, wo es einfach immer weitergeht und die Katastrophe gerade im Ausbleiben der (finalen) Katastrophe besteht. „Also der Anfang, mit dem ich angefangen habe und den ich für das Ende hielt, der war eigentlich erst der richtige Anfang, und jetzt geht es weiter.“ Anfang und Ende gibt es bei Kapitalbewegungen genauso wenig wie in der Sprache, es gibt nur ein Mittendrin, ein Immer-schon-angefangen-Haben, das wieder an die eigentümliche Zeitschlaufe der Ödipus-Geschichte denken lässt. Ein „Epilogepilog“ führt schließlich den antiken Klageton, der den gesamten Text durchzieht, mit dem Feld der juridischen Klage zusammen: „KlageKlageKlage, das Geburtsland des Menschen, der das Jüngste Gericht nicht abwarten mag und auf das älteste zurückgreift: die Klage.“

In Bremen ist in der Regie von Alexander Riemenschneider aus diesen vier sehr verschiedenen und doch eng verzahnten Texten ein äußerst heterogener Abend geworden, der vor allem in den letzten, ruhigeren Passagen Qualitäten entfaltet (während der erste Teil mit viel Klamauk, Schauspielertricks und theaterblutigen Nasen daherkommt, die Jelineks Sprache eher verstellen). „Was?“, so lautet das letzte Wort von Text und Inszenierung, und gerade weil eine überzeugende Antwort darauf nach wie vor aussteht, darf man sicher sein, dass Jelinek noch einige unbewohnbare Hundehütten und Schuppen zu zimmern haben wird. //

teilen:

Assoziationen

Neuerscheinungen im Verlag

Charly Hübner Buch backstage
Cover XYZ Jahrbuch 2023
Recherchen 162 "WAR SCHÖN. KANN WEG …"
"Scène 23"
"Zwischen Zwingli und Zukunft"
Recherchen 165 "#CoronaTheater"
"Die Passion hinter dem Spiel"
Arbeitsbuch 31 "Circus in flux"
"Passion Play Oberammergau 2022"
Recherchen 163 "Der Faden der Ariadne und das Netz von Mahagonny  im Spiegel von Mythos und Religion"
Passionsspiele Oberammergau 2022
"Theater der Vereinnahmung"
Recherchen 156 "Ästhetiken der Intervention"
"Pledge and Play"