Theater der Zeit

Look Out

Systemsprenger Hamlet

Die Regisseurin Anna-Elisabeth Frick möchte sich nie allzu sicher sein

von Bodo Blitz

Erschienen in: Theater der Zeit: Der Lieblingsfeind steht links – Über Theater und Polizei (12/2020)

Assoziationen: Hans Otto Theater Nationaltheater Mannheim

Foto: Merle Appelt
Foto: Merle Appelt

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Optimismus strahlt die Regisseurin aus, Offenheit und Freude. Wer länger mit ihr spricht, kann sich leicht vorstellen, wie gern Schauspielerinnen und Schauspieler mit ihr arbeiten. Denn Anna-Elisabeth Frick räumt ihrem Ensemble jede Menge Freiheiten ein. Das funktioniert auch deshalb, weil Texte für sie nicht absolut gelten. „Den Text?“, fragt Anna Frick schelmisch, um nach einer kurzen Denkpause selbst zu antworten: „Ja, den gibt es auch.

Frick feiert das Fragmentarische. Von „Gerüst“ ist bei ihr häufig die Rede, von „Assoziationen“ und „Atmosphäre“. All das unterstreicht ihre Denkbewegung des Hinterfragens und Suchens. Jede der zwölf Vigilien aus E. T. A. Hoffmanns Novelle „Der goldne Topf“ bricht sie in ihrer Freiburger Inszenierung aus der Spielzeit 2017/18 auf je einen zentralen Grundge­danken herunter. Das eröffnet dem ­Ensemble Raum zur Improvisation. Hoffmanns Protagonist stürzt selbstredend nicht mitten hinein in einen Marktstand, wie in der Eingangsnarration des Kunstmärchens vorgesehen. Anselmus’ Tollpatschigkeit transportiert sich in Fricks Regie so schlicht wie spielerisch über einen verspäteten Theaterauftritt, von den Schauspielkollegen lustvoll ausgestellt und entsprechend negativ kommentiert. Das schärft den Blick auf die Rolle des Außenseiters.

Fricks Inszenierungen bestechen durch Abstraktion. Sie spüren Grundlegendes auf und eröffnen gerade dadurch Spiel-Räume. Von ihren Schauspielerinnen und Schauspielern verlangt die Regisseurin, den Theaterraum immer mitzudenken. In diesem Punkt bekennt sie sich zum performativen Theater. Ihre aktuelle „Felix-Krull“-Inszenierung am Nationaltheater Mannheim eröffnet nicht zufällig den Assoziationsraum einer Hinterbühne. Disparates dominiert. Die Dekonstruktion von Einheitlichkeit weitet den Blick. Matthias Breitenbach, Annemarie Brüntjen und Eddie Irle irrlichtern als Dreifachbesetzung des Felix Krull durch den Raum, verschieben Requisiten und spielen sich warm. Es wirkt so, als statteten sie ihre Inszenierung selbst aus. Willkommen auf der Bühne des Lebens!

Grenzen fordern die 1989 in Darmstadt geborene Regisseurin heraus. Ihr Interesse an Thomas Manns „Felix Krull“ ist nicht zufällig von Sympathie für eine Figur geprägt, die vorgegebene Grenzen überschreitet. Bereits Fricks eigener universitärer Werdegang in Köln, Venedig und Berlin sowie an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg vereint Musik, bildende Kunst und Theater. Darin spiegelt sich die Lust, Perspektiven zu wechseln. Auch als Regisseurin beherrscht Anna Frick ­unterschiedliche künstlerische Sprachen, von Film- über Tanz- bis zu Musiktheaterelementen. Explizite Verweise etwa auf einen Song oder ein Gemälde sorgen häufig für tragende Grundtöne. Sie verhindern nicht zuletzt Beliebigkeit im weiten Assoziationsraum und bleiben gleichzeitig erfrischend weit entfernt von eindeutigen Setzungen. Ganz bewusst entzieht sich Frick dem binären Wertungs­system von „richtig“ oder „falsch“. Vieles ist erlaubt, nur eines nicht: sich allzu sicher zu sein.

Die Leichtigkeit, mit der Anna-Elisabeth Frick inszeniert, spart Tragik allerdings nicht aus. Die Regisseurin besitzt ein ausgesprochenes Gespür für die Nöte der Ungeliebten oder Ausgegrenzten. Besonders kostbare Momente ihrer Inszenierungen gehören Figuren, die ihren verborgenen Verletzungen auf emotionale Weise Ausdruck verleihen. Machtspiele entlarvt Frick auf der Bühne spielerisch und schnell. Ihren Hamlet am Landestheater Schleswig-Holstein zeichnet sie als einen „Systemsprenger“, für den kein Platz vorgesehen ist im gesellschaftlichen Konformitätszwang. So groß die Regisseurin als Künstlerin das Wollen schreibt, so klar kritisiert sie auch das Müssen. Ihre Arbeiten bleiben darüber erfrischend utopisch, damit auch politisch. //

„Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ in der Regie von Anna-Elisabeth Frick am Nationaltheater Mannheim ist wieder am 17. und 26. Dezember zu sehen. Ihre nächste Premiere – „In den Gärten oder Lysistrata Teil 2“ von Sibylle Berg – findet am 30. Januar im Hans Otto Theater Potsdam statt.

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