Theater der Zeit

I. Grundlagen von Ausbildung und Beruf

Produktionsstrukturen im Kostümbild

von Kattrin Michel

Erschienen in: Lektionen 6: Kostümbild (06/2016)

Assoziationen: Kostüm und Bühne

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Künstlerisches Arbeiten im Kollektiv

Theater funktioniert im Austausch zwischen Menschen. Kostümbildner arbeiten zusammen mit Regisseuren, Bühnenbildnern, Dramaturgen und Musikern in einem künstlerischen Leitungsteam. Die einzelnen Bereiche sind spezialisiert in ihrem Arbeitsfeld und begegnen sich im Idealfall auf Augenhöhe, also mit Respekt und Vertrauen, in einer gemeinsamen Arbeit. Im Austausch beeinflussen sie sich gegenseitig. Auch der Prozess der Entstehung von Kostümen ist immer arbeitsteilig; die Arbeit der Bühnen- und Kostümbildner ist eine grundsätzlich kollektive. Die Dresdener Ausbildung vertritt – neben der engen konzeptuellen Verbindung zum Bühnenbildentwurf – einen sehr weiten Begriff von dem, was ein „Kostüm“ alles sein kann. Kostüme sind dabei jeweils als Instrument, Skulptur, soziologischer Hinweis, Geschichte, Gegenwart, Kommentar und Statement zu verstehen. Im Laufe der Ausbildung wird auf unterschiedlichen Feldern experimentiert. Neben der Formulierung des Entwurfs werden auch die Herstellung und das Tragen eines Kostüms erprobt. Da an der Schule ebenfalls Ausbildungen zu Gewandmeistern und Maskenbildnern angeboten werden, besteht die Möglichkeit einer intensiven Verknüpfung zum handwerklichen Bereich. Im hochschuleigenen Labortheater können Wirkungen, Beleuchtungen, Belastbarkeiten der eigenen Entwürfe getestet werden. Nicht selten werden die Studierenden dabei selbst zu Autoren, Regisseuren und Performern.

Von uns, den Lehrenden, wird zunehmend verlangt, dass wir den Weg für die Absolventen ebnen, das heißt, dass wir den Ablauf der Arbeitsprozesse aufbereiten und dass der Student dann mühelos ins Berufsleben hineingleitet. Das ist eine große Herausforderung. Es hat dazu geführt, dass wir in Dresden Aktivitäten entwickelt haben, um von Anfang an einen Kontakt mit Regisseuren, Tänzern, Musikern, Komponisten herzustellen. Um die spätere Berufsrealität breit zu spiegeln, finden während des Studiums auch zahlreiche Kooperationsprojekte mit Theatern, Institutionen und anderen Studiengängen statt. Die beste Voraussetzung, sich in den Beruf hineinzubewegen, ist, während des Studiums feste Partnerschaften auszuprobieren, zu testen, zu fühlen, ob das eine gute Arbeitsgrundlage sein kann oder nicht. Durch Kooperationen zwischen der Hochschule und Praktika soll ein gewisser Automatismus gefördert werden: Die Praxis wächst weiter, von einem Jahr ins nächste.

Das Kostümbild im Kontext einer veränderten Theaterlandschaft

Diese kollektiven Arbeiten werden gesehen und zur Kenntnis genommen, auf jeden Fall innerhalb der Generation der Studierenden, die heute herauswächst aus der Ausbildung und in die Theater geht, in denen sich in den letzten zwanzig Jahren das Berufsbild des Kostümbildners verändert hat: Es ist bedeutender geworden. Von der Öffentlichkeit wird besser wahrgenommen, dass dort auch Künstler arbeiten. Pollesch zum Beispiel besteht auf diese Autorenschaft und sagt: „Warum sprecht ihr mich an? Das ist doch die Arbeit von Bert Neumann.“ Das Berufsfeld hat sich durch die Durchlässigkeit in andere Kunstformen verändert. Auch wurden deutsche Theater in großen Teilen neu strukturiert, vor allem durch veränderte Finanzierungsmodelle. Es existieren Theaterhäuser, in die eine kuratorische Praxis Einzug gehalten hat, die die Schnittmenge zur bildenden Kunst immer größer werden lässt, neben solchen, die ausschließlich in Kooperationen/Tourneebetrieb arbeiten, bzw. denen, die sich weiterhin auf das Engagement von etablierten Schauspielergrößen verlassen. Die Ensemblestruktur ist wertvoll, aber vielleicht auch zum Teil ästhetisch und ökonomisch nicht mehr vertretbar. In Deutschland befinden wir uns damit in einer neuen Situation, die die bisherigen Strukturen infrage stellt. In Frankreich gibt es zum Beispiel viele freischaffende Gewandmeister, die über viele Jahre eng mit Künstlern zusammenarbeiten. Diese werden, generell gesehen, für eine Produktion eingekauft. Die Werkstätten erweitern und verkleinern sich anhand der Anfragen. Die gewohnte deutsche Praxis an den Stadt- und Staatstheatern ist luxuriös. Man muss die Frage stellen, wie lange man sich den Luxus lebenslang beschäftigter Schneider in einem Haus erlauben kann. Ich habe erlebt, dass diese nicht voll beschäftigt, nicht ausgelastet sind. Ich plädiere nicht für den Abbau von Werkstätten, jedoch muss man darüber nachdenken, wie mit sinkenden Etats weiterhin künstlerische Arbeit möglich ist. Wenn freie Teams von außen kommen, bedeutet das nicht, dass sie dort einmalig in Erscheinung treten, den ganzen Laden durcheinanderbringen und dann wieder verschwinden. Es sollen sich auch hier intensive Arbeitsbeziehungen herausbilden können. Ich sehe dort eine Kontinuität.

Der nachhaltige Umgang mit dem Material

Auch die Reflexion der Produktionsbedingungen ist Teil des Kostümbildes geworden. Seit einigen Jahren rücken ethische und ökologische Fragen beim Entwurf und vor allem bei der Wahl von Textilien und Rohstoffen in den Blickpunkt. Als Kostümbildner muss man reflektieren, womit, mit welchem Stoff, worin und wofür man arbeitet. Die Ethik des Materials gehört mit zu dem kreativen Umgang. Das Material lässt sich erst durch eine Recherche erschließen, zu der wir unsere Studenten ermutigen: Wo und wie wurde das Material produziert? Woraus besteht es? Was passiert danach, gibt es weitere Nutzungsmöglichkeiten? Was macht es womöglich mit dem Träger oder mit demjenigen, der es bearbeitet? Die Nutzung des Fundus ist schon seit jeher nachhaltig, sei es aus finanziellen oder Kapazitätsgründen oder weil alte Kostüme die gewünschte Patina besitzen.

Die Digitalisierung und die damit verbundenen Möglichkeiten der Information, Recherche und Beschaffung von einfach allem, was man benötigt, ist für die letzten zwanzig Jahre in der konkreten Arbeit entscheidend geworden. Während ich selbst in den 1990er Jahren noch vorwiegend in Bibliotheken und Museen forschte, hat sich dies heute fast vollständig ins Netz verlagert. Bei den digital natives ist dies ohnehin Normalität. Plattformen, die Secondhand-Ware in Umlauf bringen, haben die Möglichkeiten von Kostümbildnern deutlich erweitert, denn man arbeitet sozusagen mit einem weltweiten Fundus und oftmals originalen Kostümteilen. Das jahrelange Arbeiten mit den Stoffkatalogen der großen Anbieter ist nicht besonders innovativ. Auf der Bühne sieht man oft, dass ein neuer Stoff im Sortiment ist, der dann ausprobiert wird. Das ist eine nicht mehr zeitgemäße Arbeitsform. In diesem Zusammenhang kommt ein aus dem Modebereich kommender Begriff ins Spiel: upcycling, den auch Esther Bätschmann, die wir als auf Nachhaltigkeit spezialisierte Kostümbildnerin in unsere Hochschule eingeladen haben, aufgreift. Materialien auf neue Weise wieder zu verwenden und ihnen damit einen höheren Wert zu geben, das sogenannte upcycling, ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern inspiriert oft zu überraschend neuen Kreationen. Dinge werden aus verschiedenen Gründen wiederverwendet, aber es soll auch geschaut werden, wo man Material generieren kann, ohne dass man z. B. auf die industrielle Produktion zugreift. Nicht zu vergessen sind auch gekaufte Kostüme: Discounterware wird bspw. erkennbar als Discounterware eingesetzt und auch so diskutiert. 

Wenn auch Kostümbildner schon immer meisterhaft alle Formen der Wiederverwertung praktizierten, ist spätestens seit dem Einsturz des Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 und dem allgemeinen Bekanntwerden archaischer Versklavungspraktiken in der Textilproduktion die Diskussion um ethische Verantwortlichkeit, also die Frage der Transparenz der Produktionsketten, notwendig. Wenn auf der Bühne gesellschaftliche Fragen verhandelt werden, können die Produktionsbedingungen hinter der Bühne nicht mehr ausgeklammert werden. Mit den ökologischen Fragestellungen muss man auf beiden Ebenen umgehen, auf der ästhetischen, also erzählenden, und der ethischen. Beides muss zur Kenntnis genommen, reflektiert, abgewogen werden. Es ist kein moralischer Imperativ, zu sagen, du darfst nicht mehr bei H&M kaufen, sondern das Material an sich muss mitgedacht werden, was für die heutige Generation von Studierenden zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

Kattrin Michel ist Professorin für Kostümbild im Studiengang Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden.

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