Theater der Zeit

Junge Expertise

Sich selbst ein Haus sein

von Drama Control

Erschienen in: IXYPSILONZETT Jahrbuch 2023: laut & denken (01/2023)

Assoziationen: Kinder- & Jugendtheater Schauspielhaus Bochum

HARVEST, Theater o.N., Berlin 2021
HARVEST, Theater o.N., Berlin 2021Foto: Dieter Hartwig

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Der jugendliche Körper wird viel kommentiert und erlebt, es wird sich an ihn erinnert, er wird verehrt, versteckt und kritisiert.

Er verändert sich.

Schnell, zu langsam oder nur minimal.

Im popkulturellen Geschehen wird er oft dargestellt, aber dann meistens von Körpern, die ihm eigentlich längst entwachsen sind.

Jeder Körper ist, wird oder war einmal Teil der Jugend und es ist fair, diejenigen, die diesen Platz gerade belegen, zeigen zu lassen, wer sie sind.

Viele Jugendliche, die ins Theater gehen, vermissen viel von ihrer Realität in dem, was sie auf der Bühne präsentiert sehen.

Das ist nicht die Schuld von Theatermachenden, denn „die Jugend“ ist schwer zu definieren.

Wir sind unterschiedlich.

Aber es gibt Probleme und Gefühle, die uns im Stillen verbinden.

Es ist unwahrscheinlich, dass wir darüber sprechen, bevor wir mitbekommen, wie es anderen damit geht.

Dargestellte Geschichten, Körper und Erfahrung können uns die Scham nehmen und uns verdeutlichen, dass wir nicht allein sind.

Ich möchte nicht allein sein, wenn mir auffällt, wie einsam der Kampf gegen die gewohnte Unterdrückung ist.

Ich möchte, dass es noch hell draußen ist, wenn ich merke, wie lange auch ich schon Sachen sage, Sachen denke, Sachen meine, an denen sich gestoßen wird.

Meine Sachen, meine Worte und auch die, die ich gern höre. Aber vor allem möchte ich, dass ich es merke,

weil es nicht auffällt,

wenn es immer so war.

Und wenn niemand was sagt,

ist nichts zu hören,

kein einschneidendes Seil,

keine Grenzen,

aber es gibt sie,

und es gibt Leute, die sie überschreiten,

oder sie benennen,

und wegen ihnen

wird niemand allein sein,

mit dem Wunsch

den du hast,

wenn du mal überlegst.

So richtig, bis der Kopf dampft.

Fällt dir auf, was du machst?

Die Drama Control ist der Aufsichtsrat des jungen Schauspielhaus Bochum. Wir sind 15 Personen zwischen 3 und 21 Jahren, wir entscheiden, welche Ideen und Personen, Kollektive und Stücke auf unserer Bühne, dem Theaterrevier, präsentiert werden sollen. Wir finden, Theater für junges Publikum sollte auch von Leuten dieser Altersgruppe mitgestaltet werden. Unser Wunsch war es, dass Henrike Iglesias etwas bei uns zeigen.

Vor einiger Zeit haben wir ihr Stück Fressen gesehen und fanden, dass ihre Spielweise und die Sicht auf Kunst und Politik, die Henrike Iglesias laut und lustig vertreten, wunderbar zu uns passt. Henrike Iglesias sind ein Kollektiv aus Berlin und Basel, sie beschäftigen sich mit gesellschaftlichen und persönlichen Themen und das auf eine sehr einladende und herzliche Art.

Die Arbeit im Kollektiv beschreiben sie bildlich, als wären sie die Teile eines Hauses.

Ein Haus, das immer wieder wächst, und in dem alle ihre eigenen Bereiche haben. Das meiste teilen sie aber: den Geschmack, eine feministische Weltsicht, den Wunsch, dass sich alle wohlfühlen und gemeinsame Werte. Wer mit ihnen zusammenarbeitet, hat oft eigenes Gepäck dabei und zieht für eine Weile ein.

Wir freuen uns als Drama Control sehen zu dürfen, wie in diesem Haus gelebt und gearbeitet wird, und sind gespannt darauf, für eine Weile ein Teil davon zu sein.

Nach diesem Prozess öffnet sich dann die Haustür und Henrike Iglesias stehen auf unserer Bühne und spielen ein Stück, in dem das Thema Kontrolle im Vordergrund steht.

Sie werden uns in der Erarbeitungszeit, so wie alle, die etwas am jungen Schauspielhaus inszenieren, in das einbeziehen, was im Stück zu sehen, hören und anderweitig zu erleben sein wird.

Wir sind durch das Stück Fressen auf das Kollektiv gekommen.

„Lots of sexism in our Schnitzel!“

In diesem Stück setzen sich die Performenden auf eine unglaublich nahegehende Weise mit den eigenen Erfahrungen zu Body Shaming, Fat Shaming und Schönheitsidealen auseinander. Im Rahmen einer Kochshow zeigen sie dabei all die Unterschiede auf. Sie räumen mit der Angst vor dem Essen und der Diät-Kultur auf. Sie sagen: „Wir haben Hunger und wir fressen!“

Henrike Iglesias beschäftigen sich aktiv mit Missständen und stehen für alles ein, was ihnen wichtig ist, ohne sich dabei zu ernst zu nehmen.

In ihren Stücken verfolgen sie nicht den Wunsch, alles auf einmal zu verändern, aber sie können durch ihre Kunst Menschen in ihren Stimmen und ihrer Kraft unterstützen, sie zusammenbringen und damit einen kleinen Wandel vorantreiben.

Wir haben ein Zoom-Interview mit ihnen geführt und einige Gedanken gesammelt, die sie geäußert haben:

• Das Theater ist ein Ort, an dem sich alle treffen sollten.

• Die Arbeit im Kollektiv gibt uns Sicherheit und Halt.

• Wir sind viele Leute in einem Haus und teilen einen Geschmack: Feminismus, Wohlfühlen, gemeinsame Werte.

• Es ist toll, an einem Strang zu ziehen, da sind immer noch andere.

• Wir stehen als wir selbst auf der Bühne.

• Unsere Stücke brauchen immer auch Witz, egal wie ernst es manchmal wird.

• Denk- und Gesprächanstöße zu geben ist wichtiger als fertige Antworten zu servieren.

• Scheinwerferlicht lässt einen die Aufregung vergessen.

• Sich alles selbst ausgesucht zu haben, die Sprache, Kostüme, alles: das gibt Vertrauen.

• Nichts kann alle gleichzeitig empowern. Aber wenn man seinen Platz mit Selbstverständlichkeit auf der Bühne einnimmt, fühlt man sich nicht allein.

• Durch das Stück GRRRRRL kam es zu einem empowernden Gefühl und positiven Rückmeldungen aus dem Publikum – sowohl digital als auch analog – dafür machen wir das! Für Leute, die Bestärkung aus unserer Arbeit ziehen.

• Wir wollen mit der Drama Control arbeiten, weil sie Profis sind, in ihrem Alter zu sein.

Mit dem Herz auf der Zunge, Feuer in den Augen, Sehnsucht im Herzen und Menschen im Rücken. Füllt sich die Bühne mit der Vergangenheit, die keine Zukunft mehr hat.

All diese Tränen, all diese Wut, dieser ganze Frust sind mit dir, in deinem Körper. Doch unter den Scheinwerfern tut es nicht mehr ganz so weh. All diese Gefühle haben Formen und Farbe. sie müssen nicht verstanden werden, aber sie haben ihren Platz.

Sie haben Platz

in einem Ton,

einem Schritt,

einem Schrei,

einem Tritt.

Einem Wort.

Herzen tragen schwere Geschichten. Aber nicht immer brauchen sie Worte.

Weil es manchmal einfach keine gibt. Das ist auch gar nicht schlimm, denn in

deinem Ton,

deinem Schritt,

deinem Schrei,

deinem Tritt,

deinem Wort

steckt ein Stück deines Herzens auch für andere drin!

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