Magazin
Hamlet in Hongkong
Eine Studie zu Heiner Müller in Asien
von Thomas Irmer
Erschienen in: Theater der Zeit: Theatermusik – Welttheater – Haus der Kulturen der Welt Berlin (06/2023)
Assoziationen: Buchrezensionen

Lianhua Hes nun in Buchform veröffentlichte Dissertation wurde an der Universität Stuttgart angenommen und baut von Heiner Müllers frühem Gedicht „Der glücklose Engel“ (1958) ausgehend eine Poetik der Geschichtsphilosophie, die Müllers Werk bis in die späten Texte bestimmte. Das ist für die Literaturwissenschaft ein lohnender Gegenstand und der chinesischen Doktorandin nach einem vierjährigen Forschungsstipendium des Chinese Scholarship Council durchaus gelungen. Methodisch stützt sie sich dabei auf Theorien der Intertextualität, insbesondere auf Gérard Genettes „Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe“, gründlich ausgeführt bei der Untersuchung von Müllers Langgedichten im Spätwerk. Es bot sich bei Lianhua Hes Herkunft für sie gewiss auch an, einen komparatistischen Blick auf Heiner Müller in Ostasien mit einzubringen, über dessen Rezeption dort hier nicht allzu viel bekannt ist.
Der Verlag kündigt im Klappentext an, dass ein „postkolonialer Blick“ – nach der allbekannten eurozentrischen Perspektive auf Müllers Werk – „neue Lesarten eröffnet“. Das ist nicht der Fall. Lianhua He bezieht sich ja ausdrücklich auf Theoretiker:innen, die in den letzten Jahrzehnten die Literaturwissenschaft in Europa und Nordamerika geprägt haben, und orientiert sich bei der Deutung von Müllers Werken durchaus an bekannten Mustern. Die Arbeit enthält allerdings einige Exkurse zur Rezeption in China und Hongkong sowie in Südkorea und Japan....