Essay
Surrealismus und was man dafür hält
von Fritz Erpenbeck
Erschienen in: Theater der Zeit: Surrealismus und was man dafür hält (12/1946)
Das Theatererlebnis soll für den Zuschauer ein Erleben der Welt durch das Miterleben menschlicher Schicksale sein, die er verallgemeinert, auf sich bezieht. Diese Verallgemeinerung erfolgt nur zum geringsten Teil bewußt. Sie erfolgt zumeist und fast ausschließlich schon während des Bühnengeschehens. Das Theatererlebnis ist vorwiegend eine Aktion des Gefühls, nicht des Verstands. (Wir lassen hier und im folgenden die unseres Erachtens unrichtige Theorie des jungen Bertolt Brecht über das Lehrstück außer Betracht, zumal er sich in seiner spätern Produktion immer mehr davon gelöst und dem aristotelischen Theater angenähert hat.) Auch die Nachwirkung des Theatererlebnisses bleibt bei der überwältigenden Masse der Zuschauer gefühlbetont; sie äußert sich wohl in einer Auflockerung zur Denkbereitschaft, führt jedoch nur selten zu gedanklichen Analyse. Dem Zuschauer wird im allgemeinen kaum klar, warum ihm ein dramatisches Werk "nicht gefällt", warum es ihn "nicht befriedigt" oder umgekehrt; er findet auch, wenn er sich überhaupt die Mühe macht, bei späterm Nachdenken selten die Ursache des "Gefallens" oder der Unzufriedenheit. (Ihm hierbei zu helfen ist eine der wesentlichen Aufgaben des Theaterkritikers.) Wir sagten, der Zuschauer müsse, um zum Erlebnis des Dramas zu kommen, das Bühnengeschehen verallgemeinern können. Das gill sowohl für den Gesamtkomplex der Handlung wie für das Schicksal der einzelnen...