Theater der Zeit

Look Out

Mephistoland Europa

Der ungarische Regisseur András Dömötör spiegelt in energiegeladenen Inszenierungen die Gegenwart Europas

von Anna Volkland

Erschienen in: Theater der Zeit: Schauspiel Leipzig – Martin Linzer Theaterpreis 2017 (06/2017)

Assoziationen: Deutsches Theater (Berlin)

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Angesichts der (selbst)kritischen Reformdiskussionen zum nicht eben mitarbeiterfreundlichen deutschen Stadttheater mag es zunächst beinahe wie ein aus der Zeit gefallenes Klischee klingen, aber András Dömötör sagt, er liebe das Theater, es sei schon eine „huge addiction“, eine Hingabe, vielleicht auch eine Sucht. Tatsächlich verbringt er seit 1999, als er in Budapest mit dem Schauspielstu -dium begann – später studierte er parallel zu seiner Arbeit als Schauspieler Regie –, einen Großteil seiner Lebenszeit mit und im Theater. Was andere als erschöpfenden Produktionsapparat mit zu wenig Weltbezug beschreiben, nennt Dömötör, der am liebsten mit zeitgenössischen Texten und an aktuellen Themen arbeitet – auch im hierzulande kaum gewagten Format der schnell produzierten, politische Nachrichten verarbeitenden Theaterserie –, „the best place in life“.

Für den 1978 Geborenen, der trotz schwindelerregender Premierenzahlen pro Spielzeit (fünf für 2017/18 in drei Ländern) nicht müde oder abgekämpft wirkt, liegt das Besondere des Mediums Theater in dessen Fähigkeit, Fantasien und Energien freizusetzen. Er liebt vor allem die auf dem angstfreien und befreienden Austausch beruhende Arbeit mit den Schauspielerinnen und Schauspielern. Und die Momente am Rande der Proben, wenn im Übergang zwischen Rolle und Privatheit, Ernst und Spiel mitunter die besten Ideen entstehen.

Als Theatermacher politisiert hat ihn erst die Situation in seinem Heimatland Ungarn, das ihm unter Orbán immer „unheimlicher“ wurde. Seine Inszenierungen, deren je ganz eigene Ästhetik er jedes Mal neu aus dem Thema entwickelt, sollen dem Publikum „power“ geben – auch zum Kämpfen. Und er erzählt, wie einmal – es war vielleicht 2011 – eine ältere Dame in einem Budapester Café aufgeregt zu ihm kam: Sie habe bis zum Besuch seiner Inszenierung von „Die Pest“ ein ganz gutes Leben gehabt, nun aber habe er sie aufgestört, sie gehe zu Demonstrationen und ihre ganze Familie diskutiere. Sie sagte es lächelnd.

Die Lage in Deutschland scheint zunächst entspannter. Aber seine vom Deutschlandfunk als „Streifzug durchs Horrorland Europa“ beschriebene Stückentwicklung „Mephistoland“, die vor einem Jahr im Studio des Maxim Gorki Theaters Berlin Premiere hatte, ließ ahnen, wie nah sich nationalsozialistische Vergangenheit, rechtskonservative Realität Ungarns und ein zukünftiges Europa, dessen humanistische und freiheitliche Werte nicht mehr als gesichert gelten dürfen, tatsächlich jetzt schon sind. Der in blutrote Vorhänge gekleidete Abend sezierte individuelle Überlebens- und Karrierestrategien innerhalb des keineswegs von (partei)politischen Ideologien unabhängigen, vielmehr mit diesen immer enger verflochtenen Theaterbetriebs. Dabei verwischte er permanent die Ebenen von dramatischer Fiktion und gegenwärtiger Situation, der politischen und der der Aufführung selbst – das Zuschauen geriet so amüsant wie ungemütlich. Eine der Figuren, die – wie oft bei Dömötör – immer auch als Schauspieler sichtbar blieben, überraschte dann schließlich mit theatraler Grundsatzkritik: Was man vor allem an den Schauspielschulen lerne, sei, gut zu lügen. Nun liebt Dömötör seit zehn Jahren auch die intensive Arbeit mit seinen Schauspielstudierenden. Aber Liebe heißt eben nicht, auf Kritik zu verzichten – jedenfalls nicht in Zeiten der Krise. Der Titel seiner neuesten Uraufführung mit sechs Schauspielstudierenden der Universität der Künste Berlin und zwei Ensemblemitgliedern des Deutschen Theaters, die ab 23. Juni dort zu sehen sein wird, scheint passend: „Your very own double crisis club“. //

„Your very own double crisis club“ in der Regie von András Dömötör ist am 23. und 24. Juni am Deutschen Theater Berlin zu sehen.

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