Magazin
kirschs kontexte: Ein Traum in WiFi
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Je suis Charlie (02/2015)
Wir werden nicht mehr gebündelt, sondern vernetzt. Die Formel ist schlicht, doch sie bringt die Dynamik auf den Begriff, die das Leben im 21. Jahrhundert bis in winzige Alltagsabläufe hinein umwälzt. Wie drastisch aber Bündeln und Vernetzen auseinanderklaffen, zeigt sich überall da, wo traditionelle „Bündelorte“ mit Vernetzungslogiken konfrontiert werden. Gerade hat Andrew Lloyd Webber, der britische Musicalkomponist, mit dem Vorschlag überrascht, dass Kirchen kostenloses WiFi zur Verfügung stellen sollten – was schon darum ungewöhnlich ist, weil Webber bekennender Konservativer ist, der für die Tories im House of Lords sitzt und sich erhofft, dass die Gotteshäuser qua Internet „wieder zum Zentrum der Gemeinden“ werden könnten. Doch ihren wirklichen Gehalt zeigt die „Rettungsidee“ erst dann, wenn man bedenkt, dass Webber ja auch Theatermann ist, wenn auch einer mit zweifelhaftem Œuvre. Sein ekklesiastischer Vorschlag muss jedenfalls auch vor dem Hintergrund verstanden werden, dass selbst Kommerzbühnen heute mit den Vernetzungskräften des Internets zu kämpfen haben. Kein Wunder: Bühnenhäuser sind Bündelhäuser par excellence, zusammen mit Kirchen wohl die öffentlichen Bündelinstitutionen überhaupt, die von Ästhetikprogrammierern wie Friedrich Schiller nicht von ungefähr als säkularer Kirchenersatz entworfen wurden. Und die lange verleugnete Solidarität erweist sich eben darin, dass heute Kirchen wie Theatern die Leute vor allem darum davonlaufen,...