In einer kleinen Stadt, fast einem Dorf. Eine einzige Straße. Kleine, armselige Parterre-Häuschen. Kleine. Darunter eines, vielleicht das armseligste: die Schule (…) leer und verlassen. (…) Ich klebte mein Gesicht an die Fensterscheiben. Sehr, sehr lange habe ich in die dunkle und verwirrende Tiefe meiner Erinnerungen geblickt.“ (Tadeusz Kantor: „Ein Reisender – seine Texte und Manifeste“, Nürnberg 1988) Der das geschrieben hat, der große polnische Maler, Bühnenbildner, Regisseur und Kunsttheoretiker Tadeusz Kantor, sitzt mit seinem Werk in der Falle: Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat zugeschnappt. Entgegen dem Gefangensein im Schicksal – eine osteuropäische Lebensart, wie sie heute in Russland zutage tritt – nimmt Kantor sein Schicksal jedoch in die Hand, indem er zeitlebens an und mit seinen Erinnerungen arbeitet.
Gebürtig aus einfachen Verhältnissen im multireligiösen Galizien, führt ihn sein Weg 1932 nach Krakau. Hier gründet er im Zweiten Weltkrieg ein illegales Wohnzimmertheater, das er „unabhängig“ nennt. „Armselige“, von der Zeit gezeichnete, allgemein geringgeschätzte Objekte (objets trouvés wie bei Marcel Duchamps) aus der Wirklichkeit werden zu wichtigen Akteuren seiner Inszenierungen. Von Beginn an besteht Kantors Kunst aus Realität. Da die Wirklichkeit absurd ist, kann die Kunst sich nicht anders gebärden. Historisch determiniert – um den marxistischen Jargon der Zeit...