Vorsicht Volksbühne! Ein Kongress aus gegebenem Anlass
Wider das Zufallstheater
von Klaus Völker
Erschienen in: Theater der Zeit: Vorsicht Volksbühne! – Das Theater. Die Stadt. Das Publikum. (08/2018)
Ist Berlin noch eine Theaterstadt oder, wie die Berliner gerne behaupten, eine Theatermetropole? Eine Theaterszene, insbesondere eine bunte, unüberschaubare freie Theaterszene gibt es zweifellos. Aber haben deren Aufführungen eine mehr als insiderische künstlerische Strahlkraft? In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts jedenfalls war Berlin unbestreitbar eine Theatermetropole. Eine Theaterstadt mit einer ganz jungen Tradition.
Deutschland war ja bis zur von Napoleon erzwungenen Bildung einer Nation, die der Kleinstaaterei ein Ende bereitete, ein Residenzenstaat, und unser in der ganzen Welt sehr beneidetes Stadt- und Staatstheatersystem ist aus der Unmenge von einstigen Hof- oder Residenzbühnen hervorgegangen. Erfreulicherweise war das Bürgertum, das die monarchischen Strukturen beseitigte, am Erhalt der Theater interessiert. Als Folge der Reichsgründung und der Rolle, die Berlin nach 1870/71 als Hauptstadt zu spielen begann, kam es zu Theaterneugründungen und vielen neuen Theaterbauten. Die Zahl der bisher schon vielen Aufführungen von Possen, seichten bürgerlichen Lust- und Singspielen stieg enorm, doch gleichzeitig gewannen auch fortschrittlichere und politisch freisinnigere Bestrebungen an Boden. Mit der Gründung der Freien Bühne 1889 und dann der Übernahme der Direktion des Deutschen Theaters durch den Kritiker Otto Brahm 1894 begann das literarisch qualifizierte Theater mit dem Anspruch, eine Bühne des Volkes zu sein, eine Rolle zu spielen. Brahm...