Theater der Zeit

Auftritt

Nationaltheater Mannheim: Wettstreit der Wahrheiten

„Slippery Slope. Fast ein Musical“ von Yael Ronen & Shlomi Shaban – Regie Anaïs Durand-Mauptit, Bühne und Kostüme Hilke Fomferra, Musikalische Leitung Sophia Günst

von Elisabeth Maier

Assoziationen: Theaterkritiken Baden-Württemberg Dossier: Musik im Schauspiel Shlomi Shaban Anais Durand-Mauptit Yael Ronen Nationaltheater Mannheim

Was bleibt vom Wettstreit um Wahrheiten? „Slippery Slope“ von Yael Ronen und Shlomi Shaban in der Regie von Anaïs Durand-Mauptit am Nationaltheater Mannheim.
Was bleibt vom Wettstreit um Wahrheiten? „Slippery Slope“ von Yael Ronen und Shlomi Shaban in der Regie von Anaïs Durand-Mauptit am Nationaltheater Mannheim.Foto: Natalie Grebe

Ein lebensgroßer Popstar aus Pappe begrüßt das Publikum im Alten Kino Franklin in Mannheim. In „Slippery Slope“ ist der einst berühmte Guistav Gundesson auf dem dünnen Eis der Debattenkultur ausgerutscht. Mit Hits wie „Eye oft he Camel“ hat der alte weiße Mann das Publikum der Generation Z gegen sich aufgebracht. Denn politisch korrekt sind solche kulturellen Aneignungen längst nicht mehr. Lustvoll kosten Regisseurin Anaïs Durand-Mauptit und das Ensemble des Nationaltheaters die Kunst der Satire in Yael Ronens und Shlomi Shabans Erfolgsmusical aus.

Doch so ganz will die Produktion nicht ins glatte Musical-Genre passen. Der Untertitel „Fast ein Musical“ verrät, dass die junge Regisseurin mit dem Genre spielt. Mit blonder Lockenperücke kaum wiederzuerkennen, treibt Patrick Schnicke die Spleens des gescheiterten Künstlers auf die Spitze. Dieses aus der Zeit gefallene Betatier hat nicht begriffen, dass seine goldenen Tage längst vorbei sind. Die sexistischen Sprüche kann er sich noch immer nicht verkneifen. Es scheint, als sei die #meetoo-Debatte spurlos an ihm vorübergegangen.

Mit schillernder Lichtkunst und den surreal verzerrten Kostümen von Hilke Fomferra setzt die Regisseurin Anaïs Durand-Mauptit den Protagonisten und die Opfer seiner Ignoranz brillant in Szene. Schnicke interpretiert die Rolle mit so viel verführerischem Charme, dass es dem Publikum schwerfällt, seine längst überholten Thesen nicht zu glauben. Schnicke beherrscht die Kunst der Manipulation wie kein Zweiter. Dass er seine Figur zugleich gnadenlos demontiert, macht die Faszination dieses vielseitigen Spielers aus.

Die Stärke der jungen französisch-deutschen Regisseurin Durand-Mauptit sind die versteckten Wahrheiten, die jenseits der Sprache liegen. Choreografin Emma Tilson hat mit dem Ensemble ein Körpertheater entwickelt, das die versteckten Abhängigkeiten offenlegt. Shirin Ali in der Rolle von Gustavs Geliebter Sky schreit den Hass aus sich heraus. Mit leeren Versprechungen hat er die ehemalige Backgroundsängerin immer wieder für flüchtige Bettgeschichten geködert. Seine Frau Klara, eine erfolgreiche Zeitungsverlegerin, finanziert die Macht- und Liebesspiele ihres Mannes seit langem. Jessica Higgins, mit senkrecht nach oben eher betoniertem als gespraytem Haar, demontiert Gustavs frauenfeindliches Weltbild mit gekonnten Spitzen.

Ganz neue Seiten offenbaren die drei Schauspieler in dem Musical, das die israelisch-österreichische Dramatikerin Yael Ronen und der israelische Songwriter Shlomi Shaban 2021 geschrieben haben. Die Uraufführung am Berliner Gorki-Theater machte Furore, weil Ronen die absurden Seiten des Zeitgeists satirisch auseinandernimmt. Der Geist der cancel culture, der die Ewiggestrigen einfach ausradieren will, schlägt in dem Musical gnadenlos zurück. Das spürt gerade Sky, die sich mit dem einst so erfolgreichen Gustav auf der Karriereleiter hochschlief. Shirin Ali gelingt das Kunststück, die Schattenseiten ihrer Figur elegant nach außen zu kehren. Wie im Rausch spinnt sich die betörend wilde Performerin in das Netz ihrer eigenen Lebenslügen ein.

Der Wettstreit um Wahrheiten, in den Anaïs Durand-Mauptit das Publikum immer tiefer verwickelt, wird getrieben von einer Musik, die von Popelementen und berauschenden Klanglandschaften dominiert ist. Die musikalische Leiterin Sophia Günst und Angela Fronterra spielen auf einem hochgezogenen Plateau auf der Bühne. Das ist in der Inszenierung mehr als ein Effekt. Sie fliegen über einer Welt von einstürzenden Fassaden und scheiternden Karrieren. Mit ihrem großartigen Gespür für Bilder und Bühneneffekte erschafft die Regisseurin eine Welt, die nichts mehr zusammenhält.

Da denkt die junge Regisseurin Ronens satirischen Blick auf den Zeitgeist der politisch Überkorrekten beherzt weiter. Auch die vermeintlich Guten ihrer Generation, die stets korrekt gendern und die Machtspiele nicht nötig haben, geraten an dem berauschenden Theaterabend ins Straucheln. Da macht auch die Journalistin und Hardcore-Feministin Stanka, elegant durch den Kakao gezogen von Annemarie Brüntjen, keine Ausnahme. In dieser Welt kann auch der Krisenmanager Kahn nichts mehr ausrichten. Barış Özbük lässt seine Figur an den eigenen Unzulänglichkeiten scheitern. Dass der Krisenmanager selbst die Krisen produziert, sagt viel über den Zustand der zerfallenden Welt. Am Ende stürzen die Fassaden der heilen Pop- und Musical-Kulisse ein und die Menschen stehen da. Ohne Träume und ohne die Achtsamkeit, die man sich gegenseitig versprach. 

Erschienen am 12.11.2025

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