Im Mai 2010 eröffnete Frank Castorf mit der Inszenierung »Nach Moskau! Nach Moskau!« ein Festival im Moskauer Mossowjet-Theater.
Nach Gastspielen bei den Wiener Festwochen kam die Aufführung an die Berliner Volksbühne. Das Interview fand im Vorfeld der Berliner Premiere im Juni 2010 statt. Für seine erste Tschechow-Inszenierung montierte Castorf Passagen aus »Drei Schwestern« und der Erzählung »Die Bauern«.
Herr Castorf, »Nach Moskau! Nach Moskau!« ist Ihr erster Tschechow. Für einen Regisseur, in dessen Inszenierungen zarte Empfindungen eher wenig Platz haben, der mit seinen Bühnenfiguren gerne sarkastisch und ziemlich unsentimental umgeht, ist das ein überraschender Autor. Was interessiert Sie an Tschechow?
Wahrscheinlich kann man das Phänomen Tschechow nur erklären, wenn man weiß, dass er Naturwissenschaftler ist, Mediziner, genau wie Büchner oder Bulgakow. Er weiß, was Krankheit bedeutet, Fieber, Schwindsucht, Bluthusten. Seine eigene Tuberkulose hat er bis kurz vor seinem Tod ignoriert. Der Landarzt Bulgakow brauchte seine Portion Morphium, und damit auch seine Portion Ideologie oder Kunst, um den Arzt-Beruf zu ertragen. Bei Tschechow ist es auch die Kunst, die Schönheit, das Gegenbild. Aber bei ihm kommt noch etwas anderes hinzu. Noch beim schlimmsten Anfall, wenn er Blut spuckt, sagt er: komisch, absolut komisch. Als er den »Kirschgarten« schreibt, will er ein...